Ja zu Russland - Vier Deutsche machen der „Sbornaja“ den Hof

(gelesen in der Moskauer Deutschen Zeitung, Nr. 3 (298), Februar 2010) Sie heißen Becker, Rausch, Wolf und Merkel mit Nachnamen. Deutsche Staatsangehörige mit russischem Familienhintergrund. Mal werden sie „Russen-Deutsche“, mal „Deutschrussen“, mal sogar ganz richtig „Russlanddeutsche“ genannt. Ihre Leidenschaft ist Fußball. Angefangen zu spielen haben sie in Deutschland, weitermachen würden sie aber gerne in Russland.


Sein Name ist Becker. Boris Becker. Die russische Tageszeitung „Sport-Express“ hat ihn zuletzt mit den Worten zitiert: „Mein Herz sagt mir, dass ich für Russland spielen muss.“ Das ist nicht ganz so verrückt, wie es sich im ersten Moment anhört, denn dieser Boris ist kein Tennis-, sondern ein Fußball-Becker. Doch wundern darf man sich trotzdem. Boris Becker, gerade 20 Jahre alt geworden, steht beim 1. FC Kaiserslautern unter Vertrag. Bis zu den Profis hat er es noch nicht gebracht, kickt einstweilen für die Amateure in der Regionalliga. Dennoch gilt der Rechtsverteidiger als hochtalentiert. 22 Spiele hat er für deutsche Jugend-Nationalmannschaften absolviert. Geboren wurde Becker jedoch im russischen Tambow, für den Vornamen Boris hat Boris Jelzin Pate gestanden. 1995 siedelte die Familie nach Deutschland über. Zu Hause wird vornehmlich Russisch gesprochen.

Neben seinem deutschen Pass hat Becker auch einen russischen. Und obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist, fühlt sich der junge Mann seinem Geburtsland eng verbunden und ist „ein Fan des russischen Fußballs“, wie er dem „Sport-Express“ verriet. Damit steht er nicht etwa allein auf weiter Flur. Russische Medien haben zuletzt wiederholt von deutschen Spielern mit einem russischen Familienhintergrund berichtet, die fußballerische Heimatgefühle hegen.

Namhaftestes Beispiel ist Konstantin Rausch. Der 20-jährige Linksfuß, variabel in Abwehr und Mittelfeld einsetzbar, gehört bei Bundesligist Hannover 96 zu den absoluten Leistungsträgern. Mit der deutschen U17 war er vor einigen Jahren WM-Dritter, gehört inzwischen zum Kader der U21. Rausch stammt ursprünglich aus Koschewnikowo, einem kleinen Ort in Sibirien. Er macht kein Hehl daraus, dass er Interesse hätte, für Russland zu spielen. Anfragen soll es aber noch keine gegeben haben.

Alexander Merkel ist erst 18 Jahre alt, wird aber beim AC Mailand bereits als eine der größten Entdeckungen dieser Saison gefeiert. Der russlanddeutsche Mittelfeldspieler war 2008 vom VfB Stuttgart in die Jugendabteilung des italienischen Topklubs gewechselt. Im Dezember 2010 debütierte er für Mailand in der Champions League, Anfang des laufenden Jahres hatte der Blondschopf seine ersten Einsätze in der Meisterschaft und im Pokal. Die Kritiken waren jeweils ausgezeichnet. In den Medien wurde Merkel bereits mit ehemaligen deutschen Italien-Legionären wie Bierhoff und Völler verglichen.

Solche Lobeshymnen schmeicheln dem Offensivmann zwar, doch er hat vor allem Augen für russische Spielerkoryphäen. Merkel war sechs Jahre alt, als er mit seinem Eltern aus Kasachstan nach Deutschland umzog. Das Russische liegt ihm im Blut. Der Zeitung „Sowjetskij Sport“ erzählte er unlängst: „Ich habe immer Russland die Daumen gedrückt, sogar als es in der WM-Qualifikation gegen Deutschland ging. Und bei der Weltmeisterschaft selbst ist mir der tolle Auftritt der Deutschen ehrlich gesagt nicht besonders nahe gegangen.“ Er träume davon, für Russland zu spielen, sagt Merkel, aber er wisse auch, dass dafür nicht nur sportlich so einiges passieren müsse. Bisher hat er keine russische Staatsbürgerschaft.

Diese Hürde müsste auch Andreas Wolf erst einmal überwinden. Der in Tadschikistan geborene Kapitän des 1. FC Nürnberg soll bereits in Kontakt zum russischen Verband gestanden haben. Doch dann sorgte eine schwere Verletzung dafür, dass er wieder aus dem Blickfeld geriet. Mit 28 Jahren dürfte der Abwehrspieler, der auf Länderspiele in deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften zurückblicken kann, nun kaum noch ein Kandidat für Russland sein.

Dass deutsche Fußballer den Bundesadler gegen den Doppeladler einzutauschen bereit sind, war allerdings ohnehin bisher hauptsächlich ein Rauschen im Blätterwald. Sowohl Russlands früherer holländischer Nationaltrainer Guus Hiddink als auch sein Nachfolger und Landsmann Dick Advocaat haben die Berichte entweder gar nicht oder betont kühl kommentiert. Von konkreten Schritten ist nichts bekannt. Dabei hat der russische Fußball ein fast schon chronisches Nachwuchsproblem. Seit der EM 2008, als Russland sensationell Bronze holte, ist der Kader kaum verändert worden – und zumindest nicht besser geworden. Die WM 2010 fand ohne Russland statt, in den jüngsten Qualifikationsspielen zur EM 2012 konstatierten Beobachter akute Motivationsmängel und empfahlen, die Konkurrenz zu erhöhen. Doch Advocaat verzichtete selbst im Testspiel gegen den Iran Anfang Februar auf jegliche Neulinge. Begründung: Er habe keine Zeit zum Experimentieren. Im Hinblick auf die Europameisterschaft zähle nur das Ergebnis. Und so geht das nun schon seit seinem Amtsantritt.

Zumindest eine Tatsache könnte Rausch, Merkel & Co. trotzdem hoffnungsvoll stimmen. Als Advocaat noch holländischer Nationaltrainer war, hat er gezielt die Integration von Talenten betrieben, die aus ehemaligen niederländischen Kolonien wie Surinam stammten. Das lässt zumindest vermuten, dass er die Leistungen der potenziellen deutschen Neulinge aufmerksamer verfolgt, als er öffentlich zugeben möchte. Zuletzt hat Advocaat immerhin gefordert, dass der russische Verband kompetente Scouts beschäftigen möge, die ihn auf dem Laufenden halten, was sich außerhalb von Russlands Grenzen tue. Die Journalisten hätten das ja schließlich auch fertiggebracht. Und wenn Spieler wie Merkel einen deutschen Pass vorweisen könnten, so Advocaat im „Sport-Express“, dann werde man „weitersehen“.

Von Tino Künzel und Ilja Regier

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