Auf der Suche nach seinen familiären Wurzeln reiste der Russlanddeutsche Andreas Keller in die Wolgastadt Samara. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch „Wolga, Wodka und die schönen Frauen“ zusammengefasst. Immer wieder stößt der Autor auf die Frage, wo denn seine Heimat sei. Keller hat für sich schon längst eine Antwort gefunden: Heimat ist viel mehr als ein Ort und Grenzen kann der Mensch sich nur selbst setzen.
Auf der Suche nach seinen familiären Wurzeln reiste der Russlanddeutsche Andreas Keller in die Wolgastadt Samara. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch „Wolga, Wodka und die schönen Frauen“ zusammengefasst. Immer wieder stößt der Autor auf die Frage, wo denn seine Heimat sei. Keller hat für sich schon längst eine Antwort gefunden: Heimat ist viel mehr als ein Ort und Grenzen kann der Mensch sich nur selbst setzen.
Ob Andreas Keller tatsächlich Michail Gorbatschow in Moskau getroffen hat? Zwei Stunden Zeit habe sich der ehemalige Präsident für ihn genommen, schreibt er. Bis zur letzten der 200 Seiten wird sich der Leser nicht sicher sei, ob das stimmt. Das ist Absicht. Keller mag das Verwirrspiel aus Realität und Fiktion. Das fängt schon beim ersten Satz des Buches an: „Ich heiße Felix Scheible.“ Felix Scheible ist Kellers Ich-Figur, durch dessen Augen der Leser Samara und die Wolga entdeckt. Den Namen Felix wählte Andreas Keller, weil er an das Glück glaubt, Scheible ist eine Verbeugung an die schwäbische Provinz. Damit ist klar, dass in Felix Scheible sehr viel Andreas Keller steckt.
Keller ist Russlanddeutscher, Sohn eines deutschstämmigen Traktorfahrers und einer ukrainischen Stuckateurin. Gut die Hälfte seines Lebens hat er in und um St. Petersburg verbracht. 1990 ging er in ein deutsches Aufnahmelager und landete schließlich in Freiburg. Aus Andrej wurde Andreas. Keller sagt heute, dass er sich nicht über einen Ort definiere. Er lebt zwischen Stuttgart und St. Petersburg. In seinem Buch sagt ein ägyptischstämmiger Deutscher in einer ähnlichen Diskussion: „Meine Heimat ist die deutsche Sprache.“
Seine deutschen Wurzeln entdeckte Andreas Keller erst als 13-Jähriger. Er verbrachte die Sommerferien bei der Großmutter, die sprach den hessischen Dialekt, den die Vorfahren bei ihrer Wanderung vom Main an die Wolga mitgenommen hatten. Ab diesem Besuch grub Keller immer tiefer. Seine erste Semesterarbeit als Geschichtsstudent im damaligen Leningrad trägt den Titel „Deutsche an der Wolga“. In Freiburg promoviert er schließlich über die Handwerker im alten St. Petersburg. Keller, der in Medienberichten schon mal als Bruder im Geiste von Hegel, Kant und Schiller bezeichnet wird, veröffentlichte 2007 sein erstes Buch: „Kater-Strophen.“ Als das Stück in der Stuttgarter Partnerstadt Samara im Jahre 2008 auf die Theaterbühne kam, saßen Gastgeber, Schauspieler und Autor nach der Vorstellung noch bei einem Bier zusammen. Damals wurde die Idee geboren: Keller schreibt über Samara.
Und wie er schreibt. Von Marschrutkas, an deren Fenster folgender Spruch gekritzelt ist: „Bei einem Unfall sollte die Anzahl der Opfer derjenigen der Sitzplätze entsprechen.“ Von der dichtenden Kranführerin Tamara, deren Poesie die Zuhörer schweben lässt. Vom bitteren Wein, der nie richtig gekühlt wird. Und schließlich von einer gewissen Aljona, die Felix Scheible in Samara kennen und lieben lernt. Aljona gibt es wirklich. Andreas Keller hat sie nicht lange nach dem Ende seines sechswöchigen Besuches in Samara geheiratet. Beide wohnen jetzt in St. Petersburg.
Lange habe der Lektor des Herder-Verlages ihn versucht, davon abzubringen, so viel Autobiografisches in sein Werk einfließen zu lassen, sagt Andreas Keller. Er hat sich am Ende durchgesetzt. „Der Inhalt des Buches ist mit meinen Gedanken und meinem Leben sehr eng verbunden.“ Eine Enzyklopädie des russischen Lebens hat der Keller schreiben wollen. Er hat allerdings nicht verhindern können, dass der Verlag im Titel gleich drei Klischees über Russland unterbringt – das Gegenteil der Tiefgründigkeit, die der Autor von sich selbst fordert. „Ich kann damit leben, wenn der Titel beim Leser erst einmal einen Greifreflex auslöst. Der Leser wird schnell merken, dass es um viel mehr, um Literatur, Philosophie und russische Lebenswelten geht.“
Dass Keller hier klein beigibt, ist eigentlich untypisch für einen Mann, den die Stuttgarter Zeitung in einem Porträt als „Typ: zerstreuter Professor“ charakterisiert. Er ist ein Schlaks mit Seitenscheitel, er selbst sagt, er sei eine Persönlichkeit mit dynamischer Struktur. Die eckt manchmal an. Als Vorstandsmitglied in der Landsmannschaft der Russlanddeutschen in Stuttgart rannte er gegen Mauern. „Ich hätte vieles anders machen wollen. Wenn das nicht geht, lasse ich lieber andere ran.“ In St. Petersburg heuerte er als Pressechef des evangelisch-lutherischen Seminars an – und ging nach kurzer Zeit wieder. „Das war für alle zu viel, für mich und für die Kirche.“ Als freier Autor ist Andreas Keller mit seinen vielen Ideen und Plänen mit seinen vielen Ideen und Plänen so unabhängig wie es eben geht. Sein Buch hat er unter das Motto gestellt: Keiner setzt uns Grenzen, es sei denn, wir setzen sie uns selbst.“
Das nächste Buch hat Andreas Keller schon in Arbeit. Die Geschichte spielt dieses Mal in St. Petersburg. Felix Scheible und Aljona zieht es von der Wolga in den Norden. Andreas Keller wird weiter versuchen, die russische Seele zu ergründen – und ein bisschen auch seine eigene.
Diana Laarz
Andreas Keller: Wolga, Wodka und die schönen Frauen. Willkommen in Samar. Verlag Herder, ab Sept. 2011, ISBN: 978-3-451-30525-2