Am 15. Juni 1957 wurde eine der ersten deutschsprachigen Zeitungen der Nachkriegszeit – die „Rote Fahne“ gegründet, die infolge verschiedener Veränderungen wie in der Staatsordnung so auch in der Gesellschaft durch eine Ausschreibung unter den Lesern 1991 den vertraulichen und liebevollen Namen „Zeitung für Dich“ bekam. Obwohl die einst auf 16 Seiten erscheinende Wochenschrift in den letzten Jahren bis auf ihr ursprüngliches Format schrumpfte, bleibt all diese Jahren ungeachtet der Gratwanderung zwischen Möglichem und Unmöglichem das Hauptmerkmal der Zeitung – die deutsche Sprache – unveränderlich. Dafür sorgten Generationen von Mitarbeitern, die sich in verschiedenen Jahren, sogar Jahrzehnten, dem deutschen Blatt mit Leib und Seele ergaben.
Für alle ehemaligen und heutigen Mitarbeiter der „Roten Fahne“/ „Zeitung für Dich“ war und bleibt die Arbeit in der Redaktion ein wichtiger Abschnitt ihres Lebens. So darüber Josef Schleicher (Chefredakteur 1992–1998): „…Ich lernte hier die Sprache, die journalistischen Gattungen, die Regeln der Zeitungsgestaltung kennen. Aber bis heute lebt in mir das Gefühl eines Neulings. Jeder Tag, jedes Thema sind eine Entdeckung. Bei der Zeitung lernte ich die Schriftsteller und Journalisten Woldemar Spaar, Andreas Kramer, Alexander Beck und Johann Schellenberg kennen. Im öffentlichen Leben verkehrte ich mit Hunderten Aktivisten der Autonomiebewegung. Ich durfte Chronist der Autonomiebewegung sein – dafür bin ich dem Schicksal und der Redaktion dankbar…“
Heute erinnert man sich oft in der Redaktion an die Zeit Ende der 1990er – Anfang der 2000er, als fast die Hälfte des damaligen Redaktionsteams nach Deutschland ausreiste. Das war ein schmerzhafter Verlust für die deutschsprachige Zeitung: Johann Bairit, Olga Bader, Tamara Kondratjewa, Nina Zerr, Josef Schleicher, Nina Paulsen, Alexander Richter, Elena Paulsen, Amalia und Inessa Schäfer, Tatjana Tkalenko, Swetlana Weiß, Natalja Breinert… Damals schien es den hier gebliebenen Kollegen, dass damit das Licht in der Redaktion ausgeht. Doch wie es so im Volksmund lautet: Es gibt keine unabkömmlichen Menschen. In die Redaktion kamen neue Arbeitskräfte, die einen frischen Hauch in die Gestaltung sowie den Inhalt der Zeitung mitbrachten. Die Journalisten Lubow Koslowa, Olga Schtscherbina, Jewgenija Gorodenzewa, Oxana Gumennikowa, Swetlana Djomkina, Maria Littau, Anna Ernst, Tatjana Dolja sowie der Fotokorrespondent Sergej Jurtschenko bemühten sich unter umfassender Schirmherrschaft der erfahrensten ZfD-Mitarbeiterin, Erna Berg, die langjährigen Traditionen der deutschsprachigen Ausgabe zu erhalten und zu entwickeln. Die Computerfachkräfte Larissa Kandraschowa, Alexandra Schalamowa und Igor Alexenko machten beim Zeitungsumbruch ihr Bestes. Auch ohne den Anstrengungen der Buchhalterinnen Valentina Nikischowa und später Nadeshda Malutina sowie des Fahrers Alexander Kolomijez konnten der Alltag und die Dienstreisen der Journalisten kaum erfolgreich organisiert werden.
Dem Redaktionsteam fiel es in all den vergangenen Jahren nicht leicht, an die Leser zu kommen und die Auflage zumindest bei 1000 Exemplaren zu halten. Die aktuelle Auflage liegt bei 630 Exemplare. Zwar sollen in der Altairegion noch etwa 50 000 Deutsche leben. Leider hat die sachkundige Leserschaft der deutschen Zeitung längst die Altairegion in Richtung Westen verlassen, die hier gebliebenen, die sich zu ihrem Deutschtum noch irgendwie bekennen und von der Zeitung angesprochen werden, kennen die deutsche Sprache kaum. Deswegen war der Appel der Wochenschrift-Redaktion Ende 2005 an die Russlanddeutschen sowie an die russlanddeutschen Organisationen und Vereinigungen wie in der Altairegion so auch in Moskau ein Ruf in der Wüste.
„Zwar standen diesmal keine ´nationalistischen´ Vorwürfe im Raum wie bei der ´Arbeit´ 1957, aber die Tatsache ist, dass eine Zeitung, die fast eine Jahrhunderthälfte für Tausende russlanddeutsche Familien einen Hoff nungsfunken und das deutsche Wort ins Haus brachte und bis zuletzt zahlreichen treuen Lesern, Deutsch lernenden Studenten und Schülern eine Hilfe war, hatte letztendlich keine Befürworter – weder in Russland, noch in Deutschland“, schrieb Nina Paulsen, die ehemalige Chefin vom Dienst der „Roten Fahne“/„Zeitung für Dich“ in ihrem Bericht „Das ´Fähnchen´ gibt es immer noch“.
Dank des Durchhaltevermögens und der Zivilcourage der Journalisten ist es in all den vergangenen Jahren gelungen, die deutschsprachige „Rote Fahne“/„Zeitung für Dich“ zu erhalten. Seit 62 Jahren sind Sprachund Kulturpflege sowie Deutschunterricht (Rubriken: „Kinderecke“, „Für Deutschlehrer“, „Bildung/ Erziehung“, „Jugend“ und andere) besondere Schwerpunkte der Redaktionstätigkeit. Heute ist die „Zeitung für Dich“ für die in der Altairegion sowie anderen Regionen Russlands lebenden ethnischen Deutschen und Deutschliebhaber oft die einzige Lektüre in der deutschen Sprache.
Braucht man heute noch eine deutschsprachige Zeitung hier in Sibirien, wenn doch die meisten Kenner der deutschen Sprache längst ausgereist sind? Das dreiköpfige ZfD-Redaktionsteam – Erna Berg, Maria Alexenko und Swetlana Djomkina – ist überzeugt: Ja, die braucht man! Dieses können sie aus den Leserbriefen und den Treffen mit den Lesern in verschiedenen Rayons des Altai schlussfolgern. Ab Januar 2018 leitet die erfahrene Journalistin und Deutschliebhaberin Swetlana Djomkina die Redaktion der „Zeitung für Dich“. Dank ihrer Bemühungen und der Unterstützung vonseiten des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVDK, Moskau) und der heute schon zu „Althasen“ gewordenen zwei weiteren Kolleginnen erscheint im laufenden Jahr einmal im Vierteljahr eine erweiterte ZfD-Ausgabe auf 16 A3-Seiten, jedes Mal einem neuen Thema gewidmet. Ob es sich lohne, eine qualitativ anspruchsvolle und inhaltsreiche Zeitung für Sibirien in deutscher Sprache herauszugeben, wird die Zeit beweisen.
*Weitere Artikel gewidmet dem 62-jährigen Jubiläum der ZfD lesen Sie in der Sonderausgabe der Zeitung.
*Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung für Dich.