Am 3. Februar veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Russland einen Runden Tisch zum Thema „Deutsche als Teil des multinationalen Staates Russland“. Die Veranstaltung fand in einem der Säle des Radischtschew-Kunstmuseums statt. Es nahmen Politiker, Vertreter der Regierung des Gebiets Saratow, Geistliche, Historiker, Ehrenamtler, Russlanddeutsche und Studenten teil.
Dr. Thomas Kunze, Leiter der Repräsentanz in der Russischen Föderation und Beauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung, wies in seiner einleitenden Rede darauf hin, dass Russland und Deutschland durch eine seit Jahrhunderten bestehende Nähe verbunden sind. Schon unter Peter dem Großen und Katharina II. kamen deutsche Siedler in das Russische Reich. Es gibt sowohl helle als auch dunkle Seiten in der allgemeinen Geschichte.
Teilnehmer des Runden Tisches „Deutsche als Teil des multinationalen Staates Russland“ /
Фото: Oleg Wiens
Er erinnerte an das tragischste Ereignis, das sich in diesem Jahr zum 80. Mal jährt – den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion. Dieser Überfall kostete Millionen von Sowjetbürgern das Leben. Zu den Betroffenen gehörten auch die Wolgadeutschen, die vor 80 Jahren nach Sibirien und Zentralasien deportiert wurden.
„Nach dem Zweiten Weltkrieg streckte Russland trotz des verursachten Leidens erneut die Hand nach uns aus. Das sowjetische „Ja“ zur deutschen Wiedervereinigung bleibt dem deutschen Volk in Erinnerung, welches dafür äußerst dankbar ist“, so Dr. Kunze. Er betonte:
Die Russlanddeutschen waren und bleiben das besondere Bindeglied zwischen Russland und Deutschland. Die Konrad-Adenauer-Stiftung will mit Expertentreffen wie dem Heutigen an die Rolle der Russlanddeutschen als Brücke zwischen unseren Ländern erinnern.
Dr. Yurij Bartholomejew, Vorsitzender des Rates der Abteilung der Russischen historischen Gesellschaft in Saratow, sprach über die Geschichte der Deutschen in Russland. Er erinnerte daran, dass die ersten Siedler nach der Veröffentlichung des Manifests von Katharina II. im Jahr 1763 nach Russland kamen.
Seiner Meinung nach wurden alle Nationen in der UdSSR während der Zeit der Unterdrückung in der menschlichen Rechtlosigkeit gleichgestellt. Die Deutschen in Russland wurden mehr als einmal zum Opfer der deutsch-russischen Beziehungen. Als die Deutschen Unterstützung in Deutschland suchten, wurde ihnen vorgeworfen, „dem Weltimperialismus in die Hände zu spielen“.
Die Deportation der Wolgadeutschen vor 80 Jahren führte zu einem unumkehrbaren Prozess der Anpassung der Russlanddeutschen. In den Jahren 1990, 1992 und 1993 fanden Kongresse der Russlanddeutschen statt, welche die Wiederherstellung der Autonomie an der Wolga forderten. Tatsächlich war der letzte demoralisierende Faktor eine Deklaration des Präsidenten der Russischen Föderation, Boris Jelzin. Damals sagte er, es werde keine Autonomie für die Deutschen an der Wolga geben. Dies war der Grund für die Massenauswanderung nach Deutschland. Im Jahr 1990 lebten 2.100.000 Deutsche auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, jedoch im Jahr 1999 waren es nur noch 600.000. Im Gebiet Saratow leben heute 17.000 Deutsche und die meisten von ihnen verlernten die deutsche Sprache.
Elena Geidt, Vorsitzende der National-kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen in Marx (Gebiet Saratow) /
Фото: Oleg Wiens
Über die Geschichte der Entstehung der wolgadeutschen Minderheit erzählte Elena Geidt, Vorsitzende der National-kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen in Marx (Gebiet Saratow) und Mitglied des Rates des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur.
Die Anwerbung von Einwanderern in den europäischen Staaten begann im Frühjahr 1764. Von 26.000 Menschen erreichten nur 23.000 ihren Wohnort. In der Wolgaregion wurden 106 Kolonien gegründet. Bereits 1774 wurden sie von Pugatschows Truppen verwüstet. Außerdem töteten und beraubten die nomadischen Kirgisen die Kolonisten.
Erst nach 20-30 Jahren gelang es ihnen, eine dauerhafte landwirtschaftliche Produktion aufzubauen. Im Jahr 1848 wurden 60 neue Siedlungen gegründet. Die Deutschen waren führend im Tabakanbau, in der Herstellung von „Sarpinka“-Stoff und in der Mehlproduktion. Auch die Alphabetisierungsrate der Kinder war höher. Außerdem wurden in den Kolonien 350 Schulen, Häuser aus Stein, Kirchen und öffentliche Gebäude gebaut.
„Es ist schade, dass wir im 21. Jahrhundert die Denkmäler und Gebäude, welche die deutschen Bauern, Handwerker und Kaufleute auf eigene Kosten gebaut haben, nicht erhalten können“, sagt sie.
Das erste Signal für die deutsche Bevölkerung in Russland wurde schon im Ersten Weltkrieg abgegeben. Schon damals erwogen die Behörden die Möglichkeit, die deutsche Bevölkerung des Wolgagebietes zu deportieren. Im Jahr 1921 herrschte dann die schreckliche Hungersnot, 1941 folgte die Deportation nach Sibirien und Kasachstan und 1942 wurden deutsche Männer und Frauen an die Arbeitsfront eingezogen, wo es eine hohe Sterblichkeitsrate durch harte Arbeit und schlechte Lebensbedingungen gab. Folgend wurden die Deutschen für weitere 15 Jahre in speziellen Kommandanturen festgehalten. Sie durften die Deportationsorte nicht verlassen und auch nach der Abschaffung der Kommandantur war es ihnen verboten, in ihre Heimat zurückzukehren.
Elena Geidt sagte:
Heute leben laut der Volkszählung 2010 etwa 400.000 Russlanddeutsche in ganz Russland. Wir geben unser Bestes, unsere Sprache zu bewahren. In Russland gibt es eine Vielzahl von Begegnungszentren, in denen wir kommunizieren und Veranstaltungen durchführen können. Solange Menschen uns besuchen, bleibt unser Volk am Leben.
Der Gastgeber, Professor Andrej Sybkin, fasste die Ergebnisse des Runden Tisches zusammen und sagte, dass die Sprecher die schlimmsten Sorgen und Probleme der russischen Deutschen identifizierten. Über die Lösung dieser muss nachgedacht und daran gearbeitet werden. Er sprach auch über die Vereinbarung zur Eröffnung einer Ausstellung im Russischen Museum für Ethnografie (St. Petersburg), die über Russlanddeutsche und ihren Beitrag zur Entwicklung Russlands erzählen wird.
Anschließend wurde ein Konzert mit klassischer Musik für die Teilnehmer des Runden Tisches vorgestellt, welches von Studenten des Konservatoriums in Saratow, welches nach Leonid Sobinow benannt ist, vorbereitet wurde. Auch nahmen die Teilnehmer an einer Führung durch die Museumssäle teil.