Irma Belenina: „Viele Menschen, mich eingeschlossen, fühlen sich hier in Samara zu Hause“


Zusammen mit dem Internationalen Verband der deutschen Kultur, der mehr als 500 öffentliche Organisationen der Russlanddeutschen vereint, werden 20 Organisationen ihre Jubiläen feiern. Darunter auch das regionale Zentrum der deutschen Kultur „Hoffnung“ in Samara.

Wir sprachen mit Irma Belenina, die Gründerin und 25 Jahre lang Leiterin des Zentrums der deutschen Kultur „Hoffnung“ in Samara.

RD: Wie ist Ihr regionales Zentrum der deutschen Kultur entstanden? Wer beteiligte sich an der Gründung?

I. B.: Die Initiatoren von „Hoffnung“ waren 16 Menschen, die im Februar 1991 auf eine Zeitungsanzeige reagierten und zum ersten Treffen kamen. Die Initiatoren waren Bedienstete, welche die Idee hatten, bekannte Deutsche in Samara der damaligen Zeit zu vereinen: Iwan Becker, Kandidat der pädagogischen Wissenschaften und Dozent des Kulturinstituts; Amalija Neiwirt, eine bekannte Deutschlehrerin; und Viktor Fritzler, Leiter eines Bautrusts. Zwei von ihnen waren Delegierte des 1. Kongresses der Deutschen der ehemaligen UdSSR.

Die Organisation wurde am 8. April 1991 offiziell gegründet. Daraufhin begann eine sehr aktive Informationsarbeit zur Vereinigung der Deutschen in Samara und dem ganzen Gebiet. Es wurden organisatorische Treffen abgehalten und Zweigstellen in Orten mit enger Besiedlung gegründet: in Otradnoje, Sysran und Pochwistnewo. Ein Jahr später, im März, trat ich bei einer Regionalkonferenz, an der mehr als 400 Personen teilnahmen, dem Rat bei.

Zu der Zeit, als das Gesetz über die Rehabilitierung der unterdrückten Völker herauskam, haben wir angefangen, den Menschen aktiv zu helfen, Archivurkunden zu bekommen und Anfragen zu stellen. Dies hat sehr geholfen, die Organisation noch enger zu vereinen. Die Menschen nahmen mit Begeisterung an den verschiedenen Veranstaltungen teil. Der Anziehungspunkt wurde die lutherische Kirche, die der Gemeinde übergeben wurde. Sie musste restauriert und repariert werden, und die Deutschen in Samara steckten viel Arbeit in ihre Wiederherstellung.

Zeitgleich wurden Forschungsarbeiten zur Geschichte der Deutschen in Samara, Seminare und internationale Konferenzen durchgeführt. Am Ursprung dieser Arbeit stand Irina Sawtschenko, Dozentin und Kandidatin der Historischen Wissenschaften. Ende der 1990er-Jahre wurde das Föderale Zielprogramm zur Unterstützung der Russlanddeutschen gegründet. Dadurch konnten wir unsere Tätigkeiten verstärken: Die deutsche Sprache wurde gelernt und es entstanden Gesangsgruppen in Samara und Pochwistnewo und später auch in Sysran und Otradnoje.

Die Migration ging auch an unserer Region nicht vorbei, aber um fair zu sein, war sie nicht so stark wie in Sibirien und Kasachstan. Viele Menschen, mich eingeschlossen, fühlen sich hier zu Hause. Starke familiäre Bindungen und die Möglichkeit, sich beruflich und geistlich zu verwirklichen, sind sehr wichtig.

RD: Der Name „Hoffnung“ wurde natürlich nicht zufällig gewählt. Warum heißt das Zentrum so und welche Bedeutung haben Sie dem Namen beigemessen?

I. B.: Unsere Organisation heißt nicht zufällig „Hoffnung“. Mit dem Wiederaufbau der national-kulturellen Bewegung gab es Hoffnung auf die Wiederherstellung der Republik und auf die Gerechtigkeit für die Sowjetdeutschen, die vor einem halben Jahrhundert nicht nur ihre kleine Heimat, sondern auch ihre Sprache und Kultur verloren haben.

RD: Die Entstehung von „Hoffnung“ fiel zeitlich mit dem Höhepunkt der Migration von Russlanddeutschen nach Deutschland zusammen. Hatten Sie das Ziel, die deutsche Bevölkerung in Samara zu behalten?

I. B.: Wir hatten nicht das Ziel, die Deutschen vor der Migration abzuhalten, und konnten es auch nicht, aber ich persönlich hatte und habe immer noch eine ungeheure Traurigkeit des Abschieds. Trotzdem verfolgen diejenigen, die ausgewandert sind, weiterhin unsere Tätigkeiten und wir treffen uns auch, wenn dies möglich ist.

RD: Irma, welche waren die interessantesten Jahre in der Entwicklung der Organisation?

I. B.: Innerhalb der 30 Jahre haben wir viel erreichen können, doch aus irgendeinem Grund bleiben die allerersten Ferienlager für Jugendliche in den Jahren 1996 und 1997, die vom IVDK organisiert wurden, in lebhafter Erinnerung. Damals haben wir hier Jugendliche aus ganz Russland getroffen und jetzt sind sie erwachsen. Einige sind nach Deutschland ausgereist und einige sind geblieben und haben ihre Kinder in die deutsche Bewegung gebracht. Es war sehr interessant und aufrichtig. Danach wurden Projekte von unseren Ferienlagern durchgeführt und ich hoffe, dass auch sie einen positiven Beitrag zur Erinnerung der damaligen Jugend geleistet haben.

Heute ist das Zentrum völlig anders. Wir haben eine gute materielle Basis sowie starke Partnerschaften mit vielen staatlichen und öffentlichen Organisationen und wir vertreten unser Volk selbstbewusst und würdig auf verschiedenen internationalen Plattformen, Veranstaltungen und Foren.

Wir sind Organisatoren der traditionellen Festivals „Wir haben eine Mutter Wolga für alle“ und „Der musikalische Hof“. Unsere Gruppen, darunter das Volksensemble „Erika“ aus Toljatti und die Vokalgruppe „Edelweiß“ aus Samara, sind die Preisträger verschiedener Festival-Wettbewerbe. Unsere Kinder repräsentieren die Region bei Sprach- und Musikwettbewerben. Das ist normal, es zeigt, dass wir uns entwickeln.

RD: Wer ist immer an Ihrer Seite und wer hilft Ihnen bei allem?

I. B.: Wir hätten es nicht geschafft, wenn wir nicht so treue und engagierte Menschen hätten. Dazu gehört Erika Lobanowa (Heidenreich), die Leiterin der Zweigstelle „Wiedergeburt“ in Toljatti. Sie haben letztes Jahr ihr Jubiläum gefeiert. Dann gibt es da noch Larissa Peruhina (Schneider); Swetlana Frank, die leider im letzten Jahr verstorben ist; Klara Gensa; Bella Hartwig; Swetlana Rempel; Marija Strukowa (Root); Rasima Salawatowa, eine „deutsche Tatarin“, deren Familie sich auf Russland und Deutschland verteilt hat; sowie Dmitrij Mühlbach.

Ein besonderes Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes möchte an Julia Kartaschowa (Will) aussprechen. Nach 25 Jahren der Leitung des Zentrums habe ich die Entscheidung getroffen, die von meinen Kollegen, den Mitgliedern des Rates, unterstützt wurde, die Verantwortung der Leitung an Julia Kartaschowa zu übergeben. Sie kam als Studentin im 5. Studienjahr ins Zentrum und begann, Deutsch zu unterrichten, wobei sie jedes Wochenende in das Kirchendorf Makarjewka fuhr. Es ist 160 km von Samara entfernt. Mehr als 20 Jahre lang war sie meine Stellvertreterin und kombinierte ihre Lehrtätigkeit mit sozialen Aktivitäten. Natürlich sollte die jüngere Generation unsere gemeinsame Aufgabe aufgreifen und weiterführen.

RD: Während der Pandemie mussten Sie, wie alle russlanddeutschen Organisationen, Ihre Arbeit umstrukturieren. Wie haben Sie diese schwierige Zeit überstanden? Welche interessanten Projekte hatten Sie im Jahr 2020?

I. B.: Wir konnten die Schwierigkeiten der Pandemie überwinden. Wir haben nicht einen einzigen Tag aufgehört zu arbeiten und haben neue Formate wie auch das Online-Format kennengelernt. Zum Beispiel haben wir im letzten Jahr den nach dem Trudarmisten Edwin Fritzler benannten und zur Tradition gewordenen Festival-Wettbewerb, der auf Initiative der Deutschen in Samara entstanden ist, online durchgeführt. Wir konnten das Interesse an dieser Veranstaltung aufrechterhalten und steigern. Wir gewannen einen Zuschuss im Wettbewerb „Avantgarde“ und drehten eine Reihe von Kurzfilmen „Aus der Vergangenheit in die Gegenwart nach der Zukunft greifend“ über die heutigen Deutschen in Samara. Außerdem zeichneten wir die Auftritte unserer musikalischen Gruppen auf und nahmen erfolgreich an Online-Festivals und Wettbewerben teil.

RD: Wie viele Deutsche sind heute in Ihrem regionalen Zentrum der deutschen Kultur vereint?

I. B.: Nach der offiziellen Statistik gibt es heute im Gebiet Samara über 6000 Deutsche, und in den späten 80er-Jahren waren wir über 10.000.

Meine KollegInnen und ich haben getan, was wir für notwendig hielten. Wir haben Bedingungen für diejenigen geschaffen, die in jedem Alter das Bedürfnis haben, die Sprache zu lernen, die Geschichte der Familie und des Volkes zu entdecken sowie sich mit der heimischen Kultur vertraut zu machen. Wir tun es auch heute noch. Es ist ein Segen, wenn ganze Familien zu uns kommen.

RD: Welche Ziele haben Sie sich für die nahe Zukunft gesetzt?

I. B.: Es besteht der große Wunsch und die Aufgabe, junge Menschen in die Bewahrung der Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen einzubeziehen. Daran arbeiten wir auch, indem wir gemeinsame Projekte mit SchülerInnen und StudentInnen organisieren.

RD: Wie planen Sie das 30-jährige Jubiläum zu feiern?

I. B.: Das 30-jährige Bestehen unserer Organisation ist nicht nur ein Jubiläum, es ist eine Zeit des Resümierens und eine Zeit der Erinnerungen, sowohl guter als auch trauriger. Traurig, weil die Menschen, die aktiv an der Gründung der Organisation beteiligt waren, leider nicht mehr bei uns sind. Wir können nur spekulieren, ob sich ihre Hoffnungen erfüllt haben.

Wir haben viele Pläne, darunter ein Jubiläumsfest, das im Oktober nicht nur unter den Deutschen in Samara, sondern auch unter unseren Freunden und Partnern aus Orenburg und Saratow stattfinden wird.

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