Die Arbeit mit der Ewigkeit: Interview mit der Künstlerin Anastasia Kuznetsova-Ruf


Anastasia Kuznetsova-Ruf ist eine Künstlerin mit einem unverwechselbaren Stil, der ihre einzigartige Handschrift trägt. Sie wird in zahlreichen Bewertungen und Auswahlen russischer Künstler aufgeführt, in denen die Worte „anerkannt“ und „gefragt“ genannt werden. In einem Interview für das Portal RusDeutsch sprachen wir nicht nur über dieses herausragende Gesicht der Kunst, sondern auch über Themen wie Eitelkeit, Ewigkeit, „harte und leichte“ Arbeit, Familie, Unterstützung und natürlich die Liebe.

Anastasia, im Leben eines jeden Menschen gibt es viele soziale Rollen. Es ist äußerst interessant zu beobachten, wie wir zu verschiedenen Zeiten die Frage „Wer bin ich?“ auf unterschiedliche Weise für uns selbst beantworten. Wer ist also Anastasia Kuznetsova-Ruf?

Wenn wir über das Soziale sprechen, kommt man nicht umhin, das Umfeld zu erwähnen. Das Umfeld spielt für einen Künstler eine entscheidende Rolle, da es die Persönlichkeit formt. In dieser Hinsicht habe ich großes Glück: Mein Mann ist ein absolut herausragender Künstler (Anm. d. Red.: Anastasias Ehemann Iwan Korschunow zählt zu den 100 anerkanntesten zeitgenössischen russischen Künstlern und seine Werke sind Teil der Sammlung des Russischen Museums). Wir teilen nicht nur die gleiche kreative Leidenschaft, sondern ich habe auch das Privileg, von einem starken Meister beeinflusst zu werden, dessen Meinung für mich von großer Bedeutung ist.

Ich kenne viele Paare, bei denen einer den anderen nicht an seiner künstlerischen Arbeit teilhaben lässt. Das kann ich nicht nachvollziehen. Nächstes Jahr werden wir 30 Jahre zusammen sein, und jedes Jahr wird unsere Beziehung noch interessanter. Der Status als Ehefrau eines Künstlers ist für mich von Bedeutung. Es geht nicht nur darum, konventionell etwas Leckeres zu kochen, sondern vielmehr um die Anerkennung als Partnerin eines herausragenden Meisters, mit dem es sehr interessant ist zusammenzuleben und gleichzeitig als unabhängige kreative Person zu agieren.

Wie interessant. Seien wir ehrlich, es ist schwer vorstellbar, dass zwei kreative Welten in einem solchen Verhältnis zueinander stehen. Kann man sagen, dass Sie und Ihr Mann voneinander über Kreativität lernen?

Ja natürlich. Ich denke immer darüber nach, was er zu dem, was ich geschaffen habe, zu sagen hat. Ein Werk gilt für mich erst als vollendet, wenn ich von Iwan höre: „Ja, das ist gut“. Und genauso ist es mit seinen Gemälden. Natürlich sind wir manchmal verärgert, wenn wir bereits eine Leinwand bemalt haben und dann einer von uns sagt, dass beispielsweise die Nase korrigiert werden muss. Zuerst kommt es zu einem Ausbruch von Aggression, aber dann hören wir beide aufeinander und machen uns daran, alles zu korrigieren (lacht).

In einem Ihrer Interviews sagten Sie: „Ich schaffe meine Werke, weil ich nicht anders kann”. Ist das Künstlerdasein für Sie ein Beruf, eine Berufung, eine Lebensform (wie ich kürzlich von einem zeitgenössischen Kulturschaffenden hörte) oder etwas anderes?

Für mich ist es mein ganzes Leben. Es ist der Sinn des Lebens, es ist das, was am stärksten ist. Sie ist das einzige Äquivalent zu Liebe und anderen starken Bindungen und Vergnügungen. Die Kreativität ist mein zweites Ich, und es gibt eine Teilung von mir in einen Menschen und einen Künstler. Es gibt Menschen, die zwei in einem sind, ein Künstler in allem wie Dalí, Picasso und Warhol. Sie haben versucht genau so zu sein. Aber für mich geht es hierbei mehr um eine erfundene Geschichte und ein Image als um die Person selbst.

Wenn ich den Status einer Künstlerin nie verlasse, werde ich zu einer verrückten Frau mit zerzausten Haaren, die nichts anderes tut, als an der Staffelei zu sitzen. Es ist eine eigene Aufgabe für mich, mich zu sammeln und nach außen hin wie ein normaler Mensch auszusehen. Es ist ein großes Vergnügen, sich auf eine Leinwand und eine Idee einzulassen, aber man kann das nicht immer tun.

Gibt es in Ihrer Tätigkeit überhaupt Raum für Müdigkeit?

Im Gegensatz zu anderen Berufen gibt es hier nie ein Gefühl der Ausgebranntheit. Es ist schwer zu vergleichen, aber in meiner Arbeit fühle ich nie, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Ich denke, dass dies genau das ist, wofür man mit „Talent gesegnet“ ist. Die meisten Künstler, die sich zu diesem Thema geäußert haben, sagen in etwa dasselbe.

Ich habe einmal ein Praktikum in einer Galerie gemacht und in der Praxis gesehen, was sich hinter dem schönen Bild der konventionellen Vernissagen mit dem Glitzern der Gläser und dem Smalltalk verbirgt. Was halten Sie von dem Geschehen hinter den Kulissen mit Montagen, dem Wischen der Böden eine Stunde vor der Eröffnung und anderen Nuancen der kuratorischen und organisatorischen Tätigkeit?

Ich glaube nicht, dass diese Seite ein Problem darstellt. Es ist wie bei den Vorbereitungen für jede Feierlichkeit. Die Vorfreude auf die Gäste, das lang ersehnte Beisammensein und die Freude auf das Ereignis überwiegen am Ende gegenüber einigen banalen Dingen.

Ja, es ist eine Menge harter Arbeit. Ballett ist auch voller Leichtigkeit und Schönheit, wenn alle über die Bühne schweben, aber die Kehrseite der Medaille ist mit blutigen Blasen an den Füßen verbunden.

Mein Ehepartner sagt gerne, dass wir auch blutigen Sport betreiben, weil unsere Seelen immer zerrissen sind. Man hegt und pflegt etwas, verkörpert es, und dann gibt es Menschen, die einfach am Werk vorbeigehen. Der Künstler hat drei Sekunden Zeit, den Betrachter zu fesseln. Und die nächste Aufgabe besteht darin, ihn festzuhalten und ihm von der zweiten, dritten und weiteren Bedeutung des Werks zu erzählen.

Wir arbeiten mit der Ewigkeit. Das ist keine Prahlerei, sondern eine normale Fortsetzung des roten Fadens der Kunstgeschichte.

Sie haben also gewissermaßen das Gefühl, dass Sie ein vorläufiger Punkt auf diesem Weg sind, der gewesen ist und der noch kommen wird, und dass es wichtig ist, die Kontinuität zu wahren?

Für mich ist dies von großer Bedeutung, denn das größte Glück eines Künstlers ist es, in die Ewigkeit einzugehen. Meiner Meinung nach gibt es nichts Stärkeres als das Leben nach dem Leben. Natürlich löscht das Glück im Leben niemand aus. Ich denke, dass jeder, der mit der Kunst verbunden ist, die Kraft hat, die Unsterblichkeit zu berühren.

Und empfinden Sie keinerlei Eitelkeit dabei?

Im Gegenteil, ich empfinde sie sehr stark. Es liegt auch eine große Verantwortung in der gottgegebenen Gabe, die man erhalten hat. Einer meiner Großväter, Leonid Kuznetsov, pflegte zu sagen: „Der Herr wird dich rufen (mein Großvater war ein sehr religiöser Mann) und dich fragen: Ich habe dir das Kostbarste und Wertvollste gegeben, was ich habe: Talent. Was hast du mit dieser Gabe gemacht?“. Diese Frage ist von größter Bedeutung.

Was denken Sie über Kunstwerke, die mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt wurden? Viele Menschen bezeichnen sie als „Gemälde ohne Seele“.

Als sie zum ersten Mal auftauchten, geriet ich in Panik und dachte: „Das war's dann wohl“. Doch dann wurde mir klar, dass künstliche Intelligenz einmal mehr die Unsterblichkeit des Künstlers und der bildenden Kunst bestätigt. Denn nur das, was von einem Menschen in einem einzigen Exemplar geschaffen wird, ist und bleibt einzigartig. Ich bin davon überzeigt, dass das Echte und Wahre definitiv in der Geschichte verbleiben wird.

In einem früheren Interview mit unserer Redaktion haben Sie bereits Ihre deutschen Charaktereigenschaften offenbart. Gibt es in Ihrer Familie Traditionen, die mit deutschen Feiertagen verbunden sind?

In dieser Hinsicht sind wir in unserer Familie recht russophil. Wir kennen natürlich die deutschen Traditionen und gratulieren all unseren Freunden und Verwandten, die sie pflegen. Das Gefühl der Zugehörigkeit durch Glückwünsche ist für uns von großem Wert.

Früher hatte ich den Wunsch, nach Deutschland zu ziehen und meinen Nachnamen auf Ruf zu verkürzen. Doch dann wurde mir bewusst, wie stark meine Wurzeln mit Russland verbunden sind. Es gibt noch so viel Unentdecktes und Ungesagtes hier. Das Leben wird nicht ausreichen, um all das zu schaffen und auszudrücken.

Gleichzeitig spüre ich eine tiefe Verbundenheit zu meinem Großvater Leopold, der ein echter Deutscher war. Ich schätze dieses kleine Stück Deutschsein in mir, denn dank ihm besitze ich die Eigenschaft der Ordnung und die Fähigkeit, mein Leben zu organisieren.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

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