Vom 14. bis 19. November fanden im Deutsch-Russischen Haus in Moskau Vorführungen im Rahmen des Projekts „Filmwoche der Russlanddeutschen – 2022“ statt. Das diesjährige Programm umfasste acht Kurzfilme, darunter fallen Dokumentarfilme, Spielfilme und Dokudramen. Am letzten Tag, dem 19. November, wurde dem Publikum ein Film des jungen Regisseurs Andrei Artschakow mit dem Titel „Katharina II. Untergang der Großen“ präsentiert.
Am Eröffnungstag der Filmwoche, dem 14. November, wurden die Filme „Sarepta. Perle der Wolga“ unter der Regie von Irina Grischina und „Das Geheimnis von Dr. Poehls Apotheke“ unter der Regie von Jewgeni Tatarow gezeigt:
Der Erstere spielt in einer deutschen Siedlung in der Nähe von Zarizyn, das im 18. und 19. Jahrhundert ein wirtschaftliches, geistiges und wissenschaftliches Zentrum des südlichen Russlands war. Der Zweitere erzählt die Geschichte eines mystischen Ortes in Sankt Petersburg, und zwar die der Apotheke von Dr. Poehl. Er kam Mitte des 19. Jahrhunderts aus Deutschland und eröffnete ein eigenes Apothekengeschäft. Seine pharmazeutische Produktion und seine Apotheke wurden kurz darauf zu Hoflieferanten Seiner Kaiserlichen Majestät.
„Ich würde das Genre der Filme als Dokudrama bezeichnen: ein Dokumentarfilm mit Rekonstruktion von Ereignissen und mit Schauspielszenen“, sagte Alexandr Tjutrjumow, Filmproduzent, Theater- und Filmschauspieler, leitender Produzent des Filmstudios „ATK-Studio“ und Verdienter Künstler Russlands.
„In einem Dokudrama können alle möglichen Ideen umgesetzt werden.“
Der leitende Produzent sprach darüber, wie die Sujets der Filme entstanden sind, und verriet dem Publikum auch die Geheimnisse der Dreharbeiten. Es war zum Beispiel nicht leicht, eine Drehgenehmigung für die Apotheke von Dr. Poehl zu bekommen. Es musste morgens gedreht werden, als die Apotheke noch geschlossen war.
Laut Alexandr Tjutrjumow hat das Filmstudio bereits eine Reihe von Projekten geplant, die den Russlanddeutschen gewidmet sind, darunter ein Film über Katharina die Große.
Am 15. November wurde Elvira Schreiners Film „Majakowski und die beiden Ellis“ gezeigt, der die wenig bekannte Liebesgeschichte des bedeutenden russischen Dichters und der russlanddeutschen Jelisaweta Zibert erzählt, die in dem Dorf Dawlekanowo geboren wurde und später aus Russland emigrierte.
„Ich glaube, dass Filme sich selbst produzieren und Filme ihre eigenen Autoren wählen“, sagte die Regisseurin des Films. „Diese Geschichte hat mich sowohl zufällig als auch nicht zufällig gefunden. Es hat mich überrascht, dass die Heldin des Films, Jelisaweta Zibert, aus dem Dorf Dawlekanowo stammt. Somit ist sie unsere Landsfrau. Aber das Interessanteste ist, dass niemand davon weiß, nicht einmal die Bewohner von Dawlekanowo.“
Um New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachzubilden, schaute sich das Filmteam einen Wohnkomplex in Ufa an. Und die Atmosphäre von Nizza wurde durch den Botanischen Garten in Ufa perfekt wiedergegeben. „Ein Teil der Dreharbeiten fand in Dawlekanowo statt und wir hatten Glück, dass das Haus, in dem die Heldin lebte, erhalten blieb“, fügte die Regisseurin hinzu.
Der Dokumentarfilm „Ich habe zu sehr gelitten, um den Menschen Böses zu tun“, der am 16. November vorgestellt wurde, erzählt über das Leben und das Werk von Georgij Wagner, dem herausragenden russischen Wissenschaftler, Doktor der Kunstgeschichte und Preisträger des Staatspreises der UdSSR. Dieser einzigartige Mann verbrachte 15 Jahre in einem stalinistischen Lager und begann seinen Weg zur großen Wissenschaft im Alter von 40 Jahren.
„Die Vorbereitungen für die Dreharbeiten waren ziemlich intensiv“, sagte Olga Ossetrowa, die Regisseurin des Films. „Dank Alexandr Babij, der die Biografie von Wagner erfasst hat, habe ich ein Buch über Georgij gelesen. Und ich war erstaunt, wie offen und aufrichtig dieser Mann war. In diesem autobiografischen Buch gibt er nicht nur Auskunft, sondern zerlegt sein Handeln in Stücke, analysiert es und bewertet es. Er spricht über seine Beziehung zu seiner Mutter und zu seiner Familie. Der Widerspruch in der Persönlichkeit dieses Mannes besteht meiner Meinung nach darin, dass er ein verwöhnter Balg war. Ein kleiner adliger Junge, der von seinem aristokratischen Großvater, seinen Großmüttern und Tanten sowie seiner prächtigen Familie verwöhnt wurde.
Und plötzlich wird dieses verwöhnte Leben abgebrochen, und es beginnt ein langer Weg der Demütigung, ein langer Weg des Leidens, und man weiß nicht, ob er jemals enden wird oder nicht.“
Am selben Tag wurde auch der Dokumentarfilm „Und das ganze Leben lag vor uns“ gezeigt, der von der gesellschaftlichen Organisation „Wiedergeburt“ in Perm anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation gedreht wurde. Die Ideengeberin und Autorin des Drehbuchs, Swetlana Bajandina, ist seit 2011 Mitglied der sozialen Bewegung der Russlanddeutschen. Und seit 2021 ist sie die Vorsitzende von „Wiedergeburt“.
„Wir haben beschlossen, dass wir einfach einen Film über unsere Landsleute machen müssen, um die historische Erinnerung zu bewahren. In dem Film sind Menschen verschiedener Generationen vertreten, die jedoch durch ein gemeinsames Schicksal verbunden sind und jeder auf seine Art und Weise ihre Erinnerungen und Gefühle mit uns teilen können.
In diesem Film geht es um den unbeugsamen Charakter unserer Landsleute. Trotz aller Entbehrungen, die sie durchgemacht haben, haben sie ihre kreative Eigenschaft beibehalten. Und dieser Eifer der Kreativität geht ihnen nicht verloren“, sagte Swetlana.
In dem am 17. November gezeigten Film „Mein Name ist Iwan“ lebt die Hauptrolle in dem Kirchdorf Neudatschino im Gebiet Nowosibirsk. Iwan ist ausgebildeter Melker. Heute ist er aber Direktor des Museums und Bewahrer der Erinnerung an das Kirchdorf.
„Das Schreiben eines Drehbuchs für einen Dokumentarfilm ist ziemlich schwierig. Vor allem, weil ich den Hauptdarsteller nicht kannte und nicht ganz verstand, wohin wir fahren und was dort passieren würde“, sagte die Regisseurin des Films, Jelena Oktjabrskaja.
„Ich wusste, dass die Menschen in Neudatschino eher verschlossen sind. Eigentlich sind sie an Aufmerksamkeit und Interviews gewöhnt, weil Ethnographen, Forscher und Journalisten das Kirchdorf sehr oft besuchen. Aber wenn man es googelt, stellt sich heraus, dass es in all diesen Interviews um ein und dieselbe Sache geht. Es war also nicht klar, ob der Hauptdarsteller Kontakt aufnehmen würde.
Wie Sie bemerkt haben, gibt es im Film Einschübe, die wie aus dem Zusammenhang gerissen wirken. Wir haben versucht, etwas zu tricksen und haben Iwan nicht gesagt, dass die Kamera an war. Wenn die Kamera aus war, fing er sofort an zu plaudern und offen zu sein, und wenn die Kamera an war, hatte er Hemmungen. Im Gespräch schien mir Iwan ein aufgeschlossener Mensch zu sein.
Er denkt sehr wenig an sich selbst und sehr viel an andere. Dies ist die Grundlage des mennonitischen Lebensstils. Abgesehen von den biblischen Geboten ist die wichtigste Eigenschaft die Fürsorge für andere.
Iwan ist nun mal unter solchen Umständen aufgewachsen“, fügte Jelena hinzu.
Am selben Tag sahen die Besucher auch den Film „Eigengrau“ von Nikita Saraschewski. Der junge Regisseur hat einen Schwarz-Weiß-Film gedreht, dessen Titel die Bedeutung „inneres Grau“ trägt. Es ist eine illusorische dunkelgraue Farbe, die Menschen in Abwesenheit von Licht sehen. Der Interviewfilm mit Pastor Wladimir Rodikow wurde auf experimentelle Weise gedreht. Der Bildschirm ist in zwei Teile geteilt, und der Zuschauer sieht fast die ganze Zeit zwei Bilder. Erst am Ende verschmelzen die beiden Teile des Bildschirms zu einem.
„Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie die Idee zu diesem Film entstanden ist. Natürlich gab es gute Voraussetzungen dafür, denn meine Großmutter ist eine ethnische Deutsche. Und von der Art und Weise, wie der Film gemacht wurde, habe ich buchstäblich geträumt. Ich habe den zukünftigen Film von Anfang bis Ende in meinem Traum gesehen und ich wollte die Geschichte nicht nur in der Realität nacherleben, sondern sie genau in dieser Form mit anderen teilen.
Und den jungen Menschen, die gerade ihre Wurzeln erforschen und auf der Suche nach ihrer Identität sind, möchte ich sagen, dass sie keine Angst brauchen, Fragen zu stellen, neugierig zu sein, inkompetent zu wirken oder vermeintlich „dumme Fragen“ zu stellen. Es ist keine Schande, wenn man etwas nicht weiß. Man muss es nur in die Hand nehmen und es tun.“
Mehr über den Regisseur und sein Debüt erfahren Sie in seinem Interview mit RusDeutsch.
Am letzten Tag der Filmwoche, dem 19. November, wurde dem Publikum der Kurzspielfilm „Katharina II. Untergang der Großen“ vorgeführt. Der Debütfilm des jungen Regisseurs Andrei Artschakow (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war er erst 13 Jahre alt) wurde auf 17 Filmfestivals ausgezeichnet und erhielt acht Preise bei internationalen Filmfestivals. Der Film wurde auch mit dem Preis des Eurasischen Filmfestivals „ECG Film Festival“ ausgezeichnet, und Andrei wurde zum „Besten jungen Regisseur in Eurasien“ ernannt.
Der Film zeigt die letzten Lebensjahre der Zarin, die in Erwartung ihres baldigen Todes gezwungen ist, die schwierige Entscheidung über die Thronfolge zu treffen.
„Die Idee für den Film hatte ich, als ich 11 Jahre alt war. Es begann damit, dass mich die türkische Geschichte der Serie ‚Das prächtige Jahrhundert‘ inspiriert hat. Und dann habe ich dank meiner Eltern angefangen, mich für die russische Geschichte zu interessieren. Ich war so inspiriert, dass ich Filme machen wollte“, sagte Andrei Artschakow. „Ich bin ein kreativer Mensch, und es hat mich schon immer gereizt, etwas zu schaffen. Zuerst träumte ich davon, Schauspieler zu werden, wenn ich groß bin. Und später wurde mir klar, dass ich Filme über die russische Geschichte drehen wollte. Eine der größten Persönlichkeiten der russischen Geschichte ist die Titanin Katharina die Große. Ich habe viele Filme gesehen und die Aufzeichnungen ihrer Zeitgenossen über diese erstaunliche Persönlichkeit gelesen.
Als ich las, wie ihre Zeitgenossen sie beschrieben, erfuhr ich, wie sie mit den Menschen kommunizierte und wie sie den Staat regierte. Ihre Geschichte überraschte mich, und ich beschloss, in Zukunft meinen ersten Film über sie zu drehen. Das Schicksal hat mir diese Chance schon viel früher gegeben.“
Nachdem er das Drehbuch geschrieben hatte, warb Andrei in den sozialen Medien um ein Filmteam. Daraufhin sah er sich unerwartet einigen harschen Kommentaren über ihn gegenüber.
„Viele Leute haben geschrieben: ‚Was hat der kleine Junge nur vor?‘ Jemand meinte, ich hätte einen reichen Vater, der mir Geld für Unterhaltung gibt. Und einige schrieben, dass ich es nicht schaffen würde. Aber es gab auch viele wunderbare und aufrichtige Menschen, die helfen wollten. Infolgedessen hat sich ein großartiges Team von Fachleuten zusammengefunden und im Sommer 2020 haben wir es geschafft, den Film zu drehen.
Ein Teil der Schauspieler wurde von mir gefunden, ein anderer von unserer Leiterin der Besetzungsabteilung, Wioletta Barinowa. Damals wusste ich noch nicht, wie man richtig mit den Schauspielern am Set umgeht und wie man eine Szene aufstellt. Natürlich hatte ich Artikel zu diesem Thema gelesen, aber in der Praxis habe ich am meisten dazu gelernt. Das Schicksal hat mich mit wunderbaren Menschen zusammengebracht, sowohl mit Schauspielern als auch mit dem Team, mit denen wir uns sehr wohl gefühlt haben.“
Andrei glaubt, dass man im Beruf des Regisseurs einerseits ein Diktator sein muss, andererseits aber auch auf die Meinung der Schauspieler hören muss. „Man muss in der Lage sein, da, wo es notwendig ist, darauf zu bestehen, diese oder jene Szene so zu drehen, wie man es haben will. Aber in einer anderen Situation ist es auch wichtig, Ideen und Vorschläge mit dem Schauspieler zu besprechen, um herauszufinden, wie er die Filmfigur sieht.“
Im Mittelpunkt der Handlung des Films steht die schwierige Beziehung zwischen der Zarin und ihrem Sohn. Der junge Regisseur ist überzeugt, dass Katharina und Pawel sich im Grunde ihres Herzens sehr geliebt haben: „Es gibt ein besonderes Band zwischen der Mutter und ihrem Sohn.
Die Beziehung zwischen der Zarin und ihrem Sohn wurde durch die Tatsache beeinflusst, dass Pawel eine Zarenmutter hatte. In solchen Fällen, wenn die Mutter eine sehr starke Persönlichkeit ist, kommt es zu Unstimmigkeiten. Als Pawel noch jung war, hatten sie ein gutes Verhältnis zueinander.
Doch Katharina durfte ihren Sohn nicht sehen. Sie versuchte, zu ihm durchzudringen, aber Jelisaweta Petrowna Romanowa wollte Pawel selbst erziehen. Von dem Moment an, als Katharina seinen Vater stürzte und möglicherweise in seinen Tod verwickelt war – zumindest glaubte Pawel das –, wurde die Beziehung zwischen den beiden immer angespannter. Pawels Lehrer und Mentor, der Diplomat Nikita Panin, versuchte sogar einmal, einen Staatsstreich zu organisieren und verschwor sich mit denjenigen, die Pawel auf den Thron bringen wollten. Als Pawel nach Katharinas Tod die Papiere in seinem Arbeitszimmer durchging, fand er einen Brief von Orlow, in dem stand, dass Peter III. durch einen Unfall gestorben war und es sich nicht um einen vorsätzlichen Mord handelte. Daraufhin rief Pawel laut: ‚Gott sei Dank ist meine Mutter keine Mörderin!‘ Das ist eine Tatsache. Und Pawel änderte sein Verhältnis gegenüber seiner Mutter. Das hat einen Teil des Hasses auf sie beseitigt. Vielleicht hat er es sogar bereut.“
Die facettenreiche Persönlichkeit Katharinas der Großen inspiriert den angehenden Regisseur, der sich in Zukunft wieder mit ihrem Abbild beschäftigen will.
„Katharina II. ist die größte Persönlichkeit in unserer Geschichte.
Ich schreibe gerade ein Drehbuch über eine andere, sehr interessante Persönlichkeit. Aber es ist durchaus möglich, dass ich auf die Persönlichkeit von Katharina II. oder Paul I. zurückkomme, denn auch er ist eine interessante und herausragende Persönlichkeit und verdient einen eigenen Film. Ganz allgemein könnte man eine Vorgeschichte von Katharina der Großen drehen und über ihre Entfaltung erzählen.
Und das, obwohl schon eine ganze Menge darüber gedreht wurde. Aber ich stelle mir diese Geschichte vielleicht einfach anders als manch andere vor.“
Mehr über den jungen Regisseur und die Geschichte seines ersten Films erfahren Sie in einem exklusiven Interview mit Andrei Artschakow mit dem Portal RusDeutsch.
So verlief die „Filmwoche der Russlanddeutschen“ in Moskau. Das Projekt wurde auch in Omsk, Tomsk, Barnaul und im Gebiet Kaliningrad durchgeführt, und sie wird in Jekaterinburg ihr Ende nehmen. Das Filmprogramm finden Sie auf der offiziellen Website der „Filmwoche der Russlanddeutschen“.
Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge