Architekt aus Saratow präsentiert Visualisierung des Projekts zur Restaurierung der Kirche in Mariental

Im Sommer 2022 hat RusDeutsch über eine Gruppe von Aktivisten berichtet, die an der Wiederherstellung der deutsch-katholischen Kirche im Dorf Sowetskoje (früher Mariental) an der Wolga in der Region Saratow beteiligt waren. Anton Bogner, einer der Teilnehmer der Initiativgruppe, Stadtarchitekt und Designer, präsentierte eine Visualisierung des Kirchenrestaurierungsprojekts.

Die katholische Kirche in der ehemaligen Siedlung der deutschen Kolonisten namens Mariental, seit 1942 das Dorf Sowetskoje, erlitt das gleiche tragische Schicksal wie viele andere Objekte des architektonischen Erbes der Wolgadeutschen: In den 1930er Jahren wurden im Rahmen einer weit verbreiteten sowjetischen anti-religiosen Kampagne das Kreuz und die Glocken vom Turm gerissen und heruntergeworfen und im Jahr 1941, als die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen aufgelöst und die Einwohner von Mariental zusammen mit anderen Sowjetdeutschen deportiert wurden, wurde die Kirche komplett geschlossen. Das Kulturhaus, das sich nach den tragischen Deportationsereignissen im Kirchengebäude befand, brannte Anfang der 2000er Jahre ab. Trotz Brandfolgen und Verwüstung sind die Ruinen der katholischen Kirche, eine der ältesten und einst größten im Wolgagebiet, heute die Hauptattraktion des Dorfes Sowetskoje. Eine Attraktion jedoch beklagenswerter Art. Im Interview mit dem Portal RusDeutsch in diesem Sommer erzählte Sergei Gerstner, ein Nachkomme der in Mariental lebenden Deutschen, ein Anwalt und Musiker aus Saratow, welchen deprimierenden Eindruck er von einem Müllhaufen auf den Stufen des Kirchengebäudes, wo seine Vorfahren einst getauft, geheiratet und ausgesegnet worden seien, bekommen habe.

Zusammen mit den Mitstreitern, Architekten Stepan Dmitrijew und Anton Bogner, initiierte Sergei eine Kampagne zur Restaurierung der Kirche. Nach den Plänen der Aktivisten soll das sanierte Gebäude wieder ein neues und modernes Kulturhaus des Dorfes beherbergen. Einen wichtigen Platz sollte darin ein Museum zum Gedenken an die Opfer von Terror und Repressionen einnehmen: Im Jahr 1921 brach in Marienthal ein antibolschewistischer Aufstand aus, der von den Behörden brutal niedergeschlagen wurde und zu Massenexekutionen führte.

Die Initiativgruppe, die sich für die Restaurierung der Kirche einsetzt, zeichnet sich nicht nur durch Enthusiasmus, sondern auch durch Professionalität aus. Jeder der Aktivisten ist für seinen Teil verantwortlich: Anwalt Sergei Gerstner übernahm die Arbeit mit staatlichen Organen, Architekten Stepan Dmitrijew und Anton Bogner arbeiten am Projekt des restaurierten Gebäudes und des angrenzenden Territoriums. Die Pläne sind ehrgeizig: Die Kirche im ehemaligen Mariental soll zu einem der Touristenmagneten der Gegend werden.

Die Aktivisten gingen diesen Sommer sehr praktisch an die Sache heran und fuhren in zwei andere deutsche Kirchen der Region Saratow, um sich mit den Ergebnissen der Restaurierung der Gebäude bekannt zu machen, Größen zu messen und auszuwerten: eine Kirche in Lipowka (Schäfer) und eine Kirche in Podstepnoje (Rosenheim). Der zweiten Expedition schloss sich Viktor Pretzer an, der Gründer und Chef des 1995 geschaffenen und bis 2002 bestehenden Deutschen Theaters Kaliningrad, Schauspieler, Regisseur, Lehrer und Leiter des internationalen Kreativverbandes INTERBÜHNE Lübeck e.V., mit dem die Künstlervereinigung der Russlanddeutschen heute aktiv zusammenarbeitet. Auch Jakob Baum, ein Architekt aus Deutschland, beteiligte sich an der Entwicklung des Projekts zur Restaurierung der Kirche in Marienthal. Die Expeditionen trugen wesentlich zur Entwicklung des Konzepts bei: Die Kirche in Rosenheim inspirierte das Innere des Kulturhauses, das die Merkmale einer katholischen Kirche bewahren sollte. Holzkonstruktionen würden keine großen finanziellen Investitionen erfordern, aber sie könnten einen einzigartigen Stil des Ortes schaffen, der Erinnerung und Modernität verbinde, so Anton Bogner. Für Authentizität wurde auch der Film „Martin Wagner“ von 1928 (nach Informationen des russischen Kinoportals „KinoPoisk“ – Anm. d. Red.) über das Schicksal des Wolgadeutschen Rotarmisten in den 1920er Jahren untersucht.

Im Dezember machte sich Anton Bogner auf Basis der gesammelten Materialien an die Arbeit am Konzept des Projekts. Stepan Dmitrijew, der sich auf die Restaurierung deutscher Architektur spezialisiert, stellte seine Zeichnungen für die Modellierung des Turms zur Verfügung. Das Ergebnis der Arbeit war die Visualisierung der zukünftigen restaurierten Kirche. Daneben soll laut Projekt ein großzügiger Spazierbereich mit blühenden Bäumen und Sträuchern sowie Ruhebänken entstehen:

„Ich wollte ein modernes Image schaffen, aber bei Gebäuden im alten Stil halte ich es für wichtig, bei der Restaurierung solcher Objekte ein einheitliches Bild der Umgebung zu berücksichtigen“, sagt Anton, ein Stadtarchitekt, Autor vieler Elemente des modernen Saratow. – Beim Erstellen der Umgebung wollte ich eine Art Legende schaffen, damit die Gäste der Siedlung Spaß daran haben. So wurden Aprikosen und Rosen ausgewählt, damit eine gewisse Legende um Mariental, das Tal der Maria, auftauchte. Aprikosenblüte zusammen mit Rosenknospen wird Touristen inspirieren und anziehen. Auch diese Lösung wurde aufgrund der Tatsache entwickelt, dass der Bereich sehr staubig ist und um Abgrenzungen zu schaffen.

Sträucher und Bäume reduzieren die Staubmenge, und blühende Aprikosen und Rosen machen diesen Ort zu einem Wahrzeichen - eine große Anzahl von Menschen wird definitiv zur Blütezeit von Aprikosen und Rosen kommen.

Die Häuser sind maßstabsgetreu modelliert, aber die Oberflächen und Dächer einiger Gebäude wurden verändert, um das Aussehen eines deutschen Dorfes zu vermitteln. Vorgeschlagene Poller, Beleuchtung und ein modernes Straßendesign sowie eine barrierefreie Umgebung. Es wurden ein einiger Fassadenstil und Materialien ausgewählt, die diesen Ort zu einem Wahrzeichen machen.“

Laut Anton haben die Aktivisten sogar darüber nachgedacht, eine Marke Marientaler Apfelwein zu kreieren. „Unter dem Geruch von blühenden Aprikosen und mit einer Flasche Apfelwein werden Touristen definitiv nicht gehen wollen, sie werden die Nacht verbringen müssen“, scherzt der Architekt. Ein Hotel für Pilger und ein Souvenirgeschäft wurden in den Plan für die Entwicklung des Territoriums mit Bedacht aufgenommen.

Anton betont auch, dass für das Projekt auch die authentischste Straßenbeleuchtung ausgewählt wurde:

„Die Laternen im Projekt sind Laternen, die AEG in den Tagen des Russischen Reiches für Saratow entwickelt hat. Nämlich der berühmte Peter Behrens (der Autor des Designs der Laternen war - Anm. d. Red.). Ich habe das Aussehen dieser Laternen anhand alter Fotografien nachgebildet“.

Einer der Schüler von Peter Behrens war Walter Gropius, der legendäre Begründer der Architekturschule Bauhaus, die das Landschaftsbild vieler deutscher Städte prägt. Anton verdeutlicht dies im Gespräch mit uns und macht uns darauf aufmerksam, wie wichtig Details in der Architektur sind. Anton betont auch noch einmal, wie wichtig es ist, Blumen und blühende Bäume zu pflanzen: Im Mai riecht es seiner Meinung nach unglaublich.

„Wir gehen mit einem großen Projekt in die Welt, das zum Leben erweckt werden soll. Jetzt sieht man, was auf dem Platz der Ruinen sein kann und soll“, schreibt Sergei Gerstner auf seiner VK-Seite im Post über Visualisierung des Projekts.

Wir möchten nochmal daran erinnern, dass alle, die gegenüber der Geschichte und dem Erbe der Deutschen in Russland nicht gleichgültig sind, die Kampagne der Aktivisten zur Restaurierung der Kirche unterstützen können. Für Einzelheiten können Sie sich direkt an Sergei Gerstner wenden: gerstner@internet.ru, +7 (927) 130-43-22.

Die Kirche in Mariental ist eines von zwölf Objekten im Kalender der Russlanddeutschen für das Jahr 2023 geworden, dessen Thema diesesmal das architektonische Erbe der Russlanddeutschen war. Die Bilder des Gebäudes, die in einem Gemäldestil bearbeitet wurden und der begleitende Text repräsentieren August. Der 28. August ist der Gedenk- und Trauertag der Russlanddeutschen: An diesem Tag wurde 1941 das Dekret über die Deportation der Sowjetdeutschen in die östlichen Regionen des Landes unterzeichnet. Unter dem Link können Sie den Kalender 2023 in unserer Elektronischen Bibliothek einsehen.

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