Vom 7. bis 12. Oktober hat im Deutsch-Russischen Haus in Moskau das föderale Projekt „Art-Labor der Medienformate für Russlanddeutsche“ stattgefunden.
Im Rahmen des Projekts sprachen wir mit Irina Schauffler, einer der Hauptrednerinnen der Veranstaltung. Wir gingen nahtlos von einer Diskussion über berufliche Feinheiten zu einem tiefgründigen Gespräch über Familienwerte und Geschichte über.
Wir kennen Irina Schauffler, eine erfahrene Content- und Werbementorin, seit mehreren Jahren. Im vergangenen Jahr arbeitete Irina mit unseren Kollegen vom Institut für Ethnokulturelle Bildung zusammen. Im Rahmen des föderalen Projekts „Art-Labor der Medienformate für Russlanddeutsche“ diskutierte die Rednerin nicht nur die Grundlagen der Erstellung effektiver Inhalte sowie Werbestrategien und -instrumente, sondern unterstützte auch die Entwicklung von groß angelegten Projekten von Wladiwostok bis Kaliningrad.
Im Interview schilderte Irina nicht nur ihren wechselvollen Karriereweg und erklärte, warum sie sich besonders für den Non-Profit-Sektor interessiert, sondern sprach auch über ihre kreativen Zukunftspläne und erzählte eine einzigartige Familiengeschichte.
Irina, wir freuen uns, Sie bei unserem Projekt begrüßen zu dürfen! Wir haben Sie unseren Treffen-Teilnehmern als Content- und Werbementorin und Produzentin der Sozialwerbung vorgestellt. Nachdem ich Ihre Vorträge im Rahmen des Projekts besucht habe, bin ich überzeugt, dass Ihnen die Medienbranche definitiv am Herzen liegt. Was fasziniert Sie so sehr an diesem Bereich und wie sind Sie dazu gekommen?
Ich glaube, 2013 war der Beginn meiner Karriere in der Medienbranche. Dann sah ich eine Stellenausschreibung als Eventmanagerin bei der Firma „Prasdnik“ [zu Deutsch „Fest“ – Anm. d. Üb.]. Die Firma war in der Stadt [Tscheljabinsk – Anm. d. Red.] ziemlich bekannt. Es ist schwer zu sagen, welche Veranstaltung ich noch nicht organisiert habe. Es gab private Geburtstage und große Stadtfeiertage wie Butterwoche.
Es ist nur so, dass die Organisation einer Veranstaltung wie ein Fingerschnippen erscheint. In der Tat ist es ein umfangreicher, zeitaufwändiger Prozess.
Neben der Konzeptentwicklung, der Organisation von Veranstaltungen und der Budgetverwaltung muss man auch das Projekt bewerben und mit den Medien zusammenarbeiten. Es ist uns gelungen, berichtenswerte Ereignisse zu schaffen, über die die Medien erzählen wollten. Zum Beispiel kamen wir zum 80. Jahrestag des Gebietes Tscheljabinsk auf die Idee, 80 Meter Wurst für Butterwoche herzustellen.
Beeindruckend!
2017 wurde ich eingeladen, bei der OTV Media Holding als Leiterin der Werbeabteilung zu arbeiten. Damals wechselte der Sender zu Kanal 21, und wir führten das ganze Jahr über eine große Veranstaltungsreihe durch, um die Leute zu ermutigen, auf Kanal 21 umzuschalten und OTV zu sehen. Hier lernte ich die andere Seite der journalistischen Arbeit kennen.
Nach meinem Umzug nach St. Petersburg entdeckte ich den Non-Profit-Sektor. Völlig zufällig! Ich kam an, ohne jemanden zu kennen und ohne Kontakte in der neuen Stadt. Ich bekam eine Stelle als PR-Direktorin in einem Ressourcenzentrum und entdeckte dort den Non-Profit-Sektor und gesellschaftliche Organisationen im Allgemeinen. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich dort sehr wohl. Seit 2018 sehe ich mich als jemand an, der versteht, wie Veranstaltungen organisiert werden und wie Kommunikation funktioniert. Und ich arbeite seit, man könnte sagen, sieben Jahren in diesem Bereich.
Ich habe die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Ich habe einige sehr erfolgreiche Fälle erlebt, in denen ich in eine Organisation gehe, ihr das System erkläre, wir eine Werbestrategie entwickeln und die Organisation mit der Umsetzung beginnt. Wir wählen Mitarbeiter und Künstler aus und denken über verschiedene Formate nach. Es gibt auch Fälle, in denen es nicht klappt, weil die Organisation nicht bereit für Veränderungen ist.
Schließlich ist ein Medienformat ein Werkzeug, das ein Ergebnis liefern soll.
Früher habe ich jedes Projekt übernommen, heute schaue ich von Anfang an, ob die Organisation bereit für Veränderungen ist oder nicht, und manchmal lehne ich ab. Medien sind schließlich ein Werkzeug, und Medienformate nur um ihrer selbst willen zu entwickeln … davon bin ich kein Fan.
Das ist logisch, denn man hilft ja und will Ergebnisse sehen.
Natürlich.
Irina, Sie sagten, Sie interessieren Sich für gemeinnützige Organisationen: Sie hatten das Gefühl, dass Sozialarbeit Ihre Nische, Ihr Bereich ist. Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Verrät das etwas über Ihre persönlichen Eigenschaften?
Das ist eine gute Frage … Ich habe sowohl in der Wirtschaft als auch in sozialen Organisationen gearbeitet. Ich verstehe sehr gut, wie Wirtschaft funktioniert und warum. Unternehmen sind darauf ausgerichtet, Geld zu verdienen.
Soziale Organisationen, Non-Profit-Organisationen, werden gegründet, um Geld zu sammeln und ein soziales Problem zu lösen. Mir gefällt die zweite Option viel besser als die erste.
Sagen wir es so: Ich bin bereits eine erwachsene Frau und bin überzeugt, dass erstens Freundlichkeit die Welt retten wird und zweitens nicht alles mit Geld gelöst werden kann. Obwohl, jemand würde mich jetzt ernsthaft korrigieren …
Denn was ist der Vorteil sozialer Organisationen? Im sozialen Bereich kann man gleichzeitig ein gesellschaftliches Problem lösen, gebraucht werden und dabei gut verdienen. Sobald man das versteht, kann man nicht mehr aufhören. Das Problem ist jedoch, dass viele Organisatoren sozialer Projekte nicht genau verstehen, womit sie sich beschäftigen und warum sie das tun. Das ist erstaunlich! Ich glaube, dass Geld eine Ressource ist. Es sollte dazu dienen, eine konkrete Aufgabe oder ein bestimmtes Problem zu lösen.
Ich möchte, dass nach mir etwas in dieser Welt bleibt.
Das ist eine sehr noble Entscheidung und, wie ich finde, eine großartige Motivation.
Eine wirklich großartige Motivation!
In Ihrem ersten Vortrag haben Sie erwähnt, dass Sie Absolventin der Produzentenschule von Nikolai Kartosija sind. Welche Rolle spielt diese Schule in Ihrem Leben, und warum haben Sie sich entschieden, dort zu studieren?
Über die Schule von Nikolai Borissowitsch Kartosija könnte ich sehr lange erzählen. Im Mai letzten Jahres spürte ich eine gewisse Erschöpfung. Ich arbeitete viel, aber die Ergebnisse meiner Arbeit waren entweder zeitlich verzögert oder hingen nicht direkt von mir ab. Zum Beispiel schließen wir mit einer Organisation einen Vertrag ab, und innerhalb von anderthalb bis zwei Monaten entwickeln wir gemeinsam mit dem Team und der Leitung eine Strategie, formulieren Werteangebote, denken uns Formate aus und erstellen Medienprodukte oder Fundraising-Kampagnen. Wir überlegen, wie die Organisation ihren Einfluss verstärken kann. Wenn das Projekt beendet ist, erhält die Organisation eine umfangreiche Datei mit einer detaillierten Strategie – und ich gehe. Schließlich bin ich eine externe Mitarbeiterin.
Es kommt vor, dass die Organisation nicht bereit ist, Veränderungen umzusetzen, und trotz meiner Vorträge und der übergebenen Unterlagen weiterhin nach alten Mustern arbeitet. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Im Mai letzten Jahres häuften sich mehrere solcher Projekte, bei denen ich keine Resonanz sah. Ich hatte das klare Gefühl, dass ich nicht unbedingt die Branche wechseln, aber mein Umfeld verändern sollte. Dann sah ich, dass Nikolai Borissowitsch eine neue Gruppe in seiner Schule zusammenstellte, und ich habe keine zwei Minuten gezögert.
Es war tatsächlich ein Jahr großer Transformation. Warum? Erstens ist Nikolai Borissowitsch ein echter Profi, ein bedeutender Produzent. Er weiß genau, was er tut, warum und mit welchem Ziel. Zweitens hat er eine wirklich einzigartige Wissensbasis geschaffen, in die er seine 25-jährige Erfahrung im Fernsehen eingebracht hat. Das professionelle Niveau seiner Vorträge ist beeindruckend.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Umfeld. In der Schule waren mehrere Tausend Menschen. Natürlich konnte man nicht alle kennenlernen, aber mein Ziel war es, neue Leute zu treffen, zu sehen, wie sie leben und arbeiten – und das habe ich erreicht. Wir haben gemeinsame Projekte gestartet. Zum Beispiel entwickeln wir jetzt mit einer Kollegin aus der Produzentenschule eine Plattform für ehrenamtliches Fundraising. Diese Schule ist eine einzigartige Erfahrung!
Das heißt, Sie interessieren sich besonders für groß angelegte Projekte?
Natürlich. Wie mein Direktor einmal sagte: „Ira, nimm niemals billige Projekte an! Niemals!“ Je billiger das Projekt, desto größer die Kontrolle – und desto geringer das Ergebnis. Man sollte immer versuchen, an großen Projekten zu arbeiten, mit Kunden oder in Communities, wo auch Budgets vorhanden sind. Wenn ein Projekt gut finanziert ist, gibt es mehr Freiheit für kreative Ideen. Große Projekte sind einfach spannender.
Sie haben erwähnt, dass Sie manchmal enttäuscht sind, wenn Ihre Konzepte nicht umgesetzt werden. Glauben Sie, dass Organisationen in solchen Fällen vielleicht einfach mehr Zeit brauchen, um reif für Veränderungen zu werden?
Natürlich. Das Problem vieler Non-Profit-Organisationen besteht darin, dass sie wachsen, aber ihre Management-Tools auf dem gleichen Niveau bleiben wie zu Beginn.
Wenn ich also in eine Organisation komme, versuche ich, all meine Energie darauf zu richten, dass sie versteht: Mit dem Wachstum müssen sich auch die Arbeitsinstrumente verändern.
Gibt es Ihrer Meinung nach Besonderheiten in der Arbeit mit ethnokulturellen Organisationen?
Ich habe noch nie innerhalb einer ethnokulturellen Organisation gearbeitet. Aber ich habe das Gefühl, dass die internen Prozesse in kommerziellen und nichtkommerziellen Organisationen sehr ähnlich sind. Jede Organisation braucht Planung, Teamführung, Finanz- und Kommunikationsmanagement sowie Budgetierung. Ich denke, ethnokulturelle Organisationen funktionieren nach denselben Prinzipien.
Der Unterschied liegt in den Zielen. Eine kommerzielle Organisation will Geld verdienen, eine Non-Profit-Organisation will soziale Probleme lösen, und eine ethnokulturelle Organisation möchte Menschen um eine Idee oder Aufgabe herum vereinen. Die Frage ist: Wie vereint man sie? Dafür braucht man ein gutes Verständnis der Bedürfnisse und Sorgen der Zielgruppe und sollte Produkte oder Formate schaffen, die genau diese Probleme ansprechen.
Irina, nachdem Sie unsere Teilnehmer beim ersten Vortrag kennengelernt haben – können Sie ihnen eine Empfehlung geben?
Ich kann die Gruppe noch nicht vollständig einschätzen, weil wir wenig Zeit miteinander hatten. Ich weiß, dass unter den Teilnehmenden sowohl erfahrene Journalisten als auch Anfänger sind. Ich sage immer: Der Mensch macht die Stelle. Mein Lebensmotto lautet: Wenn du etwas machst, tu es professionell.
Wenn du es im Moment noch nicht professionell kannst – dann lerne, entwickle dich weiter, sammle Informationen und tue es trotzdem so gut, wie du kannst.
Nehmt anspruchsvolle Projekte an. Habt keine Angst davor. Schwierige Projekte bringen Wachstum und neue Erfahrungen.
Während der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich Ihren Artikel in einem Magazin gelesen. Darin schreiben Sie über die Bedeutung der einfachen, aber wichtigen Frage: „Warum?“ Darf ich diese Frage an Sie weitergeben: Mit welchem Ziel sind Sie zu unserem Art-Labor gekommen?
Ich erinnere mich an ein Buch – „Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky. Ich empfehle es sehr! Darin gelangt ein Mann zufällig in ein Café, das aus dem Nichts erscheint, und verbringt dort eine Nacht voller Nachdenken über sein Leben. Auf der Speisekarte steht die Frage: „Warum bist du hier?“
Wenn ich mich frage, warum ich hier bin, dann lautet meine Antwort: um Non-Profit-Organisationen zu motivieren, mit Unternehmen um die Aufmerksamkeit des Publikums zu konkurrieren.
Ich wünsche mir, dass Menschen ihre Expertise und ihre Marke – ob persönlich oder organisatorisch – im Einklang mit den Werten vertreten, die sie selbst definiert haben.
Ich bin hier, um das Verhältnis zu den Medien zu verändern: um Menschen in diesen Beruf zu verlieben und durch mein Beispiel zu zeigen, wie spannend er ist.
Irina, Sie haben ein gutes Gespür für Ihr Publikum und genießen den Austausch. Gibt es noch ein anderes Format, in dem Sie Ihr Wissen teilen möchten – etwa Podcasts oder Bücher?
Ich gestehe: Sie haben gerade einen wunden Punkt getroffen!
Ich habe vier Kapitel eines unveröffentlichten Buches auf meinem Computer. Vier Kapitel! Ich öffne sie, lese, bearbeite – und schließe wieder. Ich kann mich einfach nicht dazu bringen, weiterzuschreiben.
Aber ich werde es irgendwann fertigstellen. Vielleicht wird es kein klassisches Buch, eher ein Leitfaden zur Kommunikation.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei diesem Vorhaben! Irina, Sie legen großen Wert auf persönliche Entwicklung. Haben Sie eine simple, kunstlose Botschaft für unsere Teilnehmer?
Eine simple Botschaft…
Lebt so, dass ihr euch im Alter nicht für euer Leben schämen müsst.
Ich hatte einmal ein Gespräch mit Kollegen aus der Produzentenschule über Lebensziele. Da saßen erwachsene Männer: verheiratet, mit Kindern – ihr Ziel war es, dass die Kinder groß werden, die Frau zufrieden ist und genug Geld da ist. Ich schwieg eine Weile und sagte dann: „Wollt ihr wissen, was mein Lebensziel ist?“ Sie nickten.
Mein Ziel ist es, eines Tages ein großes Familienfoto zu machen – mit mir, alt, aber gesund, meinem Mann, unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln. Dieses Foto soll an der Hauptwand meines Hauses hängen.
So ein Foto, auf dem alle Familienmitglieder zu sehen sind, ist etwas Fantastisches – der wahre KPI deines Lebens. Lebt so, dass ihr euch nicht schämen müsst.
Danke! Irina, interessieren Sie sich für Ihre Vorfahren?
Oh, dafür würde die Zeit nicht reichen! Ich könnte lange über das Leben von Dawid Jakowlewitsch, dem Großvater meines Mannes, und meiner Großmutter Esmeralda Iwanowna erzählen. In unserer Familie sind die Tagebücher meines Großvaters erhalten geblieben – Dawid Jakowlewitsch Schauffler. Er hinterließ ein großes Erbe: Gemälde, Tagebücher, Fotoalben. Natürlich haben wir diese Tagebücher gelesen. Mein Großvater und meine Großmutter führten ein sehr schwieriges Leben. Sie lebten in der Stadt Marx im Gebiet Samara, von wo sie vertrieben wurden. Der Großvater diente in der Arbeitsarmee. Er hatte zwei Hochschulabschlüsse – er war Geologe und Lehrer. Später begann er ein drittes Studium, konnte es aber wegen des Krieges nicht beenden. Bis 1992 lebten sie in Baschkirien und zogen dann im Rahmen des Aussiedlerprogramms der Russlanddeutschen nach Deutschland. Dort starben sie – er im Alter von 96 Jahren, sie mit 87. Eine wirklich bewegende Familiengeschichte.
Wir bewahren sie sorgfältig auf. Wir haben alle Hefte und Tagebücher meines Großvaters digitalisiert, damit sie an unsere Kinder, Enkel und Urenkel weitergegeben werden.
Irina, Sie erwähnten Gemälde. War Dawid Jakowlewitsch Künstler?
Gute Frage… Die Bilder, die bei uns zu Hause hängen, sind klassisch gemalt und wirklich sehenswert. Ich weiß, dass Dawid Jakowlewitschs Neffe, Hugo Schauffler, Chefarchitekt der Stadt Jekaterinburg war. Er starb 2019 in Frankfurt, fast hundertjährig. Hugo Schauffler lernte das Zeichnen von seinem Onkel Dawid. In seinen Erinnerungen schrieb er, dass er noch genau weiß, wie sein Onkel ihm beibrachte, plastische Figuren zu zeichnen.
Übrigens, mein Mann hat einmal einen Stammbaum erstellt. Unsere Töchter bekamen dafür in der Schule jedes Jahr eine Eins (lacht). Als Sergej 2011 den Stammbaum anfertigte und die Geschichte seiner Verwandten erforschte, wurde er krank – richtig mit Fieber. Er las, wie die Russlanddeutschen das Tscheljabinsker Metallwerk bauten, wie sie den Krieg überlebten und danach verfolgt wurden.
Deshalb braucht man viel Mut, in die Vergangenheit zu schauen – und noch mehr Mut, sie anzunehmen