„Stadtgeschichten über die Deutschen Russlands“: Stadtführerin Xenija Wasiljewa erzählt


Wir machen Sie weiterhin mit dem Online-Stadtführer zu deutschen Orten in den Städten Russlands bekannt. In einem Interview mit dem Portal RusDeutsch erzählt die Stadtführerin Xenija Wasiljewa, welche Namen bedeutender Deutscher mit Tomsk verbunden sind. Am 11. Mai wird Xenija eine Präsentation ihrer Online-Route in Tomsk abhalten.

RD: Was hat bei Ihnen das Interesse an diesem Projekt geweckt?

X. W.: Die Ausarbeitung einer neuen Exkursionsroute ist immer eine überaus spannende und aufschlussreiche Aufgabe. Man weiß nie, welche bisher unbekannten Fakten über die Stadt bei der Vorbereitung einer neuen Exkursion aufgedeckt werden.

Als ich noch nicht daran dachte, als Stadtführerin zu arbeiten, wusste ich, dass Russlanddeutsche einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Tomsk geleistet haben. In dieser Hinsicht war der Wunsch groß, in dieses Thema einzutauchen, um das Ausmaß des kulturellen Erbes zu erfassen, das die Russlanddeutschen unserer Stadt hinterlassen haben.

Das angebotene Format der Arbeit ist auch deshalb interessant, weil eine große Anzahl von Menschen Tomsk kennenlernen kann, auch ohne die Stadt direkt zu besuchen. Schließlich kann jeder die App herunterladen und sich auf eine virtuelle Reise begeben, und viele Menschen, die erfahren werden, wofür Tomsk so bekannt ist, werden die Stadt bestimmt besuchen wollen. Da bin ich mir sicher!

RD: Wie haben Sie die Routen für die Website und die App ausgewählt?

X. W.: Die erste Route verläuft auf einer der künstlerischsten und beliebtesten Straßen von Tomsk – der Ulitsa Kusnezowa. Immer wieder ist mir aufgefallen, dass ich auch im Alltag versuche, mir einen Weg durch diese Straße zu bahnen. Außerdem hatte ich vor Kurzem das Glück, als Museumsführerin in dem wunderbaren Museum „Professorskaja kwartira“ zu arbeiten, dass sich in einem der alten Häuser in der Ulitsa Kusnezowa befindet. Dieser Umstand hat mich unwillkürlich noch stärker den Charme und das einzigartige Schicksal dieser Straße spüren lassen.

Die zweite Route verläuft durch die Universität. Ihre Eröffnung war ein Meilenstein in der Entwicklung von Tomsk. Die erste Hochschuleinrichtung auf dem asiatischen Territorium Russlands war die Kaiserliche Universität Tomsk. Dieser Fakt darf in keiner Exkursion fehlen. Darüber hinaus bereitet die Besichtigung der Gebäude der Universitäten in Tomsk großes ästhetisches Vergnügen.

So werden auf den beiden von mir entwickelten Routen zwei bedeutende Besonderheiten von Tomsk vereint: die Holzarchitektur und die Universität. Während man diese Wege entlanggeht, wird man davon überzeugt, dass das Schicksal der Stadt untrennbar mit dem Schicksal der Russlanddeutschen verbunden ist.

RD: Welcher Ort in Tomsk, der mit den Deutschen verbunden wird, und welche Person deutscher Herkunft hat bei Ihnen die intensivsten Eindrücke hinterlassen?

X. W.: Die russlanddeutschen Architekten haben die bedeutendsten Spuren in der Geschichte von Tomsk hinterlassen. Jeden Tag sehen wir ihre wunderbaren Werke. Und jedes Mal, wenn man an den Gebäuden des talentiertesten Architekten Andrej Langer vorbeigeht, ist man positiv überrascht und jeder sagt, was für ein vielseitiger, facettenreicher und einzigartiger Meister er doch ist! Er schien mit allen Stilen und Richtungen in der Architektur zurechtzukommen: Er baute eine Moschee in der tatarischen bäuerlichen Siedlung, die orthodoxe Peter-und-Paul-Kirche, eine Synagoge, Mietshäuser, ein Kino, eine Volkshochschule und öffentliche Dampfbäder. Es ist unmöglich, alles aufzuzählen!

Da die Atmosphäre von Tomsk von studentischen Seelen durchdrungen ist, kann ich nicht anders, als den ersten Rektor der Kaiserlichen Universität Tomsk, Nikolaj Gesehus, zu erwähnen. Als einziger Dozent für Physik an der Universität leistete er einen enormen Beitrag zum Aufbau der ersten Hochschuleinrichtung jenseits des Urals.

Er stellte Instrumente für den praktischen Unterricht her, spendete den Studenten eigene Mittel für deren Unterhalt und wurde Autor eines der ersten Werke in Russland über die Erforschung der Radioaktivität. In seiner Freizeit nahm er an Musikkonzerten teil, wo er in einem Streichquartett den Part der ersten Geige übernahm! Er war der Direktor der Tomsker Abteilung der Kaiserlichen Russischen Musikgesellschaft. Bis zu seinen letzten Tagen war N. Gesehus der Vorsitzende der Gesellschaft der Kammermusikliebhaber in Sankt Petersburg.

RD: Erzählen Sie uns ein wenig über Legenden und interessante Fakten, die mit den deutschen Orten und den bekannten Deutschen in Tomsk verbunden sind.

X. W.: Erinnern wir uns noch einmal an den Architekten Andrej Langer. In der Geschichte der Stadt war er nicht nur Architekt. Im Jahre 1910 baute der Ingenieur Langer, wie die Zeitung „Sibirskaja Schisn“ berichtet, das erste Flugzeug in Tomsk (zu seiner Zeit lebte er auch in Sankt Petersburg und absolvierte dort einen Kurs in Luftfahrt).

Nachdem er gelernt hatte, ein Flugzeug zu fliegen, kaufte Andrej Langer das Flugzeug „Blériot XI bis“, für das er verrücktes Geld ausgegeben hatte: viereinhalb Tausend Rubel, was fast dreimal mehr als sein offizielles Jahresgehalt war.

Um mit seinem Kauf zu prahlen, stellte Langer das Flugzeug im April 1911 im Garten Buff-Sad, dem Lieblingsruheplatz der Bewohner von Tomsk, öffentlich aus. Jedoch konnte das Flugzeug leider nicht abheben ...

Weitere Informationen über den Online-Stadtführer finden Sie auf der offiziellen Website des Projekts.


Das Projekt „Stadtgeschichten über die Deutschen Russlands“ wird durch das Unterstützungsprogramm für Russlanddeutsche in der Russischen Föderation finanziert.

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