„Stadtgeschichten über die Deutschen Russlands“: Stadtführerin Anastasija Koschewina erzählt


Wir machen Sie weiterhin mit dem Online-Projekt, dem Stadtführer zu deutschen Orten in den Städten Russlands, bekannt. In einem Interview mit dem Portal RusDeutsch erzählt die Stadtführerin Anastasija Koschewina, welche Namen bedeutender Deutscher mit Omsk verbunden sind.

RD: Was hat Sie daran gereizt, an diesem Projekt zu arbeiten?

A. K.: Ich arbeite erst seit relativ kurzer Zeit (seit 2014) als Reiseführerin, jedoch habe ich etwas recht Seltsames beobachtet: Wenn man eine historische Exkursion durch Omsk macht, über die Gründung der Stadt und ihre Entstehung spricht, kommt den Touristen mitten im Ausflug die folgende Frage auf: „Gab es hier auch Russen?“. Sie wird gestellt, da die Geschichte von Omsk reich an deutschen Nachnamen wie Buchholz und Springer, Wagner und Eset, Glasenapp und Gasfort, und viele andere ist. Außerdem gibt es im Gebiet Omsk den Deutschen Nationaljaron Asowo, an dessen Entwicklung ich von Beginn an beteiligt war. Damit hatte ich die notwendige Grundlage für die Arbeit an dem Projekt. Außerdem sind einige meiner Vorfahren Russlanddeutsche; wie hätte ich an dem Projekt vorbeigehen können?!

RD: Wie haben Sie die Routen für die Website und die App ausgewählt?

A. K.: Wie aus der vorigen Antwort deutlich wird, gibt es viele Varianten der Routenplanung in Omsk, die mit Russlanddeutschen verbunden sind.

Bei der Konstruktion habe ich die Anforderungen des Projekts berücksichtigt: Die gesamte Exkursion sollte nicht länger als eine Stunde dauern, alle Besichtigungspunkte sollten zu Fuß erreichbar sein, und, wie es die Theorie der Exkursionsgestaltung von uns verlangt, brauchen wir einen einheitlichen roten Faden.

So hat es sich auch ergeben: Eine der Routen hat einen historischen Kontext. Es wird über die Entstehung und Entwicklung der Stadt Omsk von einer Festung in die Hauptstadt des russischen Staates erzählt. Die zweite trägt mehr populären Unterhaltungscharakter und es handelt von den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Omsk – jene Besichtigungspunkte, die jeder Einwohner des Landes auf Fotos bei Anfragen über unsere Stadt im Internet sieht.

RD: Welcher Ort in Omsk, der mit den Deutschen verbunden wird, und welche Person deutscher Herkunft hat bei Ihnen die intensivsten Eindrücke hinterlassen?

A. K.: Hier habe ich eine gewisse Schwierigkeit bei der Auswahl, da es mehrere Personen gibt, die große und sehr wichtige Beiträge zur Geschichte der Stadt Omsk geleistet haben. Das sind Iwan Springer, der Gründer der zweiten Omsker Festung, ein Mensch, der die Struktur der Stadt verändert hat (bis zum heutigen Tag berücksichtigt die Stadtplanung unwissentlich diesen historischen Ort); Gustav Gasfort, unter dessen Generalgouvernements die russische Grenze von Omsk bis zur Festung Wernyj (die heutige Stadt Almaty) erweitert wurde; Fjodor Wagner, der den Grundstein für die Begrünung der Stadt legte und die Regeln des Hausbaus in Omsk aufstellte (im Grunde genommen begann er, die richtige Stadtplanung zu entwickeln); Georg Glasenapp, der die erste Bildungseinrichtung – das Omsker Kadettenkorps – in der Stadt schuf; und Iwan Buchholz, der Gründer der ersten Omsker Festung. Wie kann man Buchholz nicht erwähnen? Schließlich umfasste die Aufgabe der Exkursionsplanung nicht die Gründung dieser Festung ...

RD: Erzählen Sie uns ein wenig über Legenden und interessante Fakten, die mit den deutschen Orten und den bekannten Deutschen in Omsk verbunden sind.

A. K.: Wir riskieren; wie auch bei der vorherigen Frage ... Denn ich könnte stundenlang davon erzählen. Deshalb erzähle ich ihnen nur von meinem liebsten Fakt. Der Westsibirische Generalgouverneur Gustav Gasfort regierte kraft seiner Machtposition ein riesiges Territorium. Während seiner Regierungszeit wurden weite Gebiete Zentralasiens an Russland angegliedert. Jedoch werden wir uns dem Norden zuwenden, denn im Norden umfasste das Westsibirische Generalgouvernement zusammen mit Jamal nicht weniger Territorium. Und Gasfort, der ein seriöser Staatsbediensteter und Leiter war, unternahm eine große Reise entlang des Irtysch und des Ob mit dem Ziel, dieses Gebiet näher kennenzulernen. Im Jahre 1852 erreichte er auch die Stadt Obdorsk (heute Salechard), wo er in einem abgelegenen Dorf am Polarkreis mit ernsten Problemen konfrontiert wurde: Schon zehn Jahre protestierten die Andersgläubigen (die Ureinwohner des Nordens) aktiv gegen die Siedlungsgründung von Obdorsk auf ihrem angestammten Land und ihren heidnischen Kultstätten, und es gab zahlreiche Beschwerden über die Bestechung und Unterdrückung der Anwohner durch den Beisitzer von Obdorsk (heute ist seine Position ähnlich der eines Bürgermeisters).

Als Ergebnis der Reise schrieb Gasfort einen Brief an Nikolaus I. Der Zar ordnete an, Obdorsk an seinem alten Platz zu belassen, und der Beisitzer dieser Stadt wurde wegen Bestechung und Unterdrückung angeklagt. Die dankbare Bevölkerung von Obdorsk hat ihm 1857 (als Gasfort noch Gouverneur von Westsibirien war) im Dorf ein Denkmal mit einem Schild errichtet, wo Folgendes geschrieben steht: „Dieses Denkmal wurde in Obdorsk zum Gedenken an den Westsibirischen Generalgouverneur Gasfort errichtet, der die Bewohner von Obdorsk von den Bedrohungen und Gefahren des Beisitzers gerettet hat“, aber das Schild wurde wegen desselben Beisitzers nicht angebracht.

Es ist jedoch wahr, dass viele Menschen in Omsk diese etwas naive Einschätzung der Leistungen von Gasfort nicht zu schätzen wussten und es war viel davon die Rede, dass „Gasfort sich zu Lebzeiten kein Denkmal errichtet hat“. Der Obelisk existierte recht lange bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts (das Foto aus den Fonds des nach Schemanowskij benannten Museums- und Ausstellungskomplexes (Salechard) ist genau auf die 40er-Jahre datiert).

Weitere Informationen über den Online-Stadtführer finden Sie auf der offiziellen Website des Projekts.


Das Projekt „Stadtgeschichten über die Deutschen Russlands“ wird durch das Unterstützungsprogramm für Russlanddeutsche in der Russischen Föderation finanziert.

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